P & R Insolvenz: Hemmungsvereinbarung wegen Insolvenzanfechtungsansprüchen – Anteilsinhaber der insolventen P & R Container Leasing GmbH sollen auf Ihr Recht auf Einrede der Verjährung verzichten

P & R Insolvenz: Hemmungsvereinbarung wegen Insolvenzanfechtungsansprüchen – Anteilsinhaber der insolventen P & R Container Leasing GmbH sollen auf Ihr Recht auf Einrede der Verjährung verzichten

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der P & R Container Leasing GmbH – Az.: 1542 IN 727/18, ist seit drei Jahren eröffnet. Schon im August 2019 hatte der zuständige Insolvenzverwalter, Dr. jur. Philipp Heinke von der Anwaltskanzlei Jaffé, Anteilsinhaber zur Abgabe einer sogenannten Verjährungsverzichtserklärung für 2021 aufgefordert. Aktuell erinnert der Insolvenzverwalter mit einem erneuten Schreiben diejenigen Anteilsinhaber an die Abgabe der P & R Hemmungsvereinbarung, die der Aufforderung bisher noch nicht nachgekommen sind. Im Schreiben wird erheblicher Druck aufgebaut und auf mögliche negative Konsequenzen hingewiesen, sollte keine Unterzeichnung erfolgen.

 

Insolvenz der P & R Container Leasing GmbH

Bei der P & R Container Leasing GmbH handelt es sich um eine von mehreren P & R Gesellschaften, konkret um einen insolventen Container bzw. Schiffsfond, in den Anleger ihr Geld investieren konnten. Seit mittlerweile drei Jahren ist das Insolvenzverfahren über die P & R Container Leasing GmbH eröffnet. Von der Insolvenz betroffen sind über 10.000 Anleger.

Aktuell möchte der zuständige Insolvenzverwalter, Dr. jur. Philipp Heinke, auch aus Altverträgen Zahlungen an die Anlieger zurückfordern. So fordert er Anteilsinhaber erneut dazu auf, eine Verjährungsverzichtserklärung abzugeben.

 

Unentgeltliche Leistungen an die Anleger anfechtbar?

Hintergrund des Schreibens des Insolvenzverwalters ist, dass die Anleger der P & R Container Leasing GmbH aus Sicht der Kanzlei Jaffé kein Eigentum an den entsprechenden Containern erworben haben. So existieren die Container teilweise nicht oder es fand nie eine Eigentumsübertragung statt. Wenn man etwas nicht hat, hat man auch kein Recht darauf. Aus diesem Grund seien die an die Anteilsinhaber geflossenen Mietzahlungen sogenannte unentgeltliche Leistungen und könnten vom Insolvenzverwalter nach § 134 InsO angefochten werden.

In Bezug auf das angeblich nicht existierende Eigentum und der damit zusammenhängenden Insolvenzanfechtbarkeit sind mittlerweile mehrere Gerichtsverfahren anhängig. Dabei geht es insbesondere um die Streitfrage, ob Anteilsinhaber in der Vergangenheit Eigentum an den Containern erworben haben oder nicht. Der Insolvenzverwalter vertritt die Auffassung, dass dies nicht der Fall sei und möchte daher die zugeflossenen Mietzahlungen anfechten.

 

Hintergrund des neuerlichen Schreibens

Die Anleger der P & R Container Leasing GmbH werden nun erneut aufgefordert, die bisher noch nicht abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen zu unterschreiben. Insbesondere deshalb, da die Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters Ende 2021 verjähren würden. Bis dahin müsste der Insolvenzverwalter Klage gegen jeden einzelnen Anleger erheben. Da bisher noch kein höchstrichterliches Urteil vorliegt, möchte er das vermeiden. Aus diesem Grund fordert er nun sämtliche Anteilsinhaber auf, welche die Verjährungsverzichtserklärung noch nicht unterschrieben haben, dies zu tun. Durch Unterzeichnung dieser Verjährungsverzichtserklärung erkennen Anleger keine Forderungen an, sondern stimmen lediglich zu, dass keine Verjährungsfrist eintritt bzw. die Hemmung auf den 31.12.2023 verschoben wird.

In dem Schreiben wird nicht unerheblicher Druck auf die Anteilsinhaber ausgeübt. So weist der Insolvenzverwalter unter anderem darauf hin, dass Anleger im eigenen Interesse handeln sollten. Sollte nämlich keine Zustimmung zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung für das Jahr 2021 erfolgen, wäre das für die Anleger mit weiteren Kosten verbunden. So wird auf einen möglichen gerichtlichen Mahnbescheid hingewiesen.

 

Stand der Gerichtsverfahren

Mittlerweile sind mehrere Gerichtsverfahren anhängig, die sich damit beschäftigen, ob die Anleger Eigentum an den Containern hatten und dementsprechend auch, ob der Insolvenzverwalter überhaupt geflossene Mietzahlungen anfechten darf. Zu diesem Thema gibt es aktuell einen richtungsweisenden Beschluss des Oberlandesgerichtes München.

Das OLG München weist eventuelle Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters eindeutig zurück und entscheidet damit anders als zuvor das Landgericht München I (OLG München, Beschluss vom 20.05.2021 – 5 U 7147/20). Dies wiederum bedeutet, dass Zahlungen an die Anleger nicht zurückgefordert werden können. Das OLG München Urteil vertritt die Auffassung, dass die an die Anleger geleisteten Zahlungen seitens P & R nicht unentgeltlich gemäß § 134 InsO waren. Das wiederum führt dazu, dass der Insolvenzverwalter keine Möglichkeit der Insolvenzanfechtung hätte.

Der Beschluss des OLG München erscheint für betroffene Anleger zunächst positiv, allerdings sollte man beachten, dass die Streitfrage noch nicht höchstrichterlich durch den BGH geklärt worden ist. So stellt sich hier die Frage, ob Anteilsinhaber die Verjährungsverzichtserklärung tatsächlich unterschreiben sollten oder nicht.

Insoweit sollten Sie sich von Spezialisten beraten lassen und die verschiedenen Möglichkeiten abklären.

Mit unserer langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet des Insolvenzrechts und insbesondere des Insolvenzanfechtungsrechts stehen wir Ihnen als Fachanwälte für Insolvenzrecht bei diesbezüglichen Fragen gerne zur Verfügung.


BGH klärt weitere Fragen zur Verjährung im VW-Diesel-Skandal – Musterfeststellungsklage reicht für Hemmung aus

BGH klärt weitere Fragen zur Verjährung im VW-Diesel-Skandal – Musterfeststellungsklage reicht für Hemmung aus

Bereits der Start einer Musterfeststellungsklage gegen einen Autokonzern im Dieselskandal verhindert, dass Ansprüche möglicher Betroffener verjähren. (BGH, Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20)

 

Die Karlsruher Richter sind der Ansicht, dass es für die Hemmung der Verjährung im VW-Abgasskandal für den einzelnen Dieselkäufer ausreichend gewesen sei, sich 2019 zum Klageregister für die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG anzumelden. Entscheidend war demnach nur, dass die Verbraucherzentralen ihre Musterklage vor Ablauf der Verjährungsfrist Ende 2018 auf den Weg gebracht haben.

 

Mit einer Adhoc-Stellungnahme gab VW im Oktober 2015 zu, dass in den von VW produzierten Motor EA189 unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind. Zivilrechtlich ist es in der Regel so, dass Schadensersatzansprüche nach drei Jahren verjähren. Demnach hätten betroffene Autobesitzer spätestens Ende 2018 Ansprüche erheben müssen, wenn eben bereits im Jahr 2015 bekannt war, dass der eigene Wagen betroffen ist.

 

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall ging es konkret darum, dass sich der Kläger erst im Jahr 2019 entschieden hat, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen. Er hatte seine Ansprüche zuvor aber zum Klageregister der Musterfeststellungsklage an und wieder abgemeldet. Das OLG Naumburg wies seine Klage wegen Verjährung ab.

 

Der BGH jedoch hob diese Entscheidung auf und verwies diese Sache zurück ans OLG Naumburg. Dies begründeten die Karlsruher Richter insbesondere damit, dass trotz der breiten Medienberichterstattung sich dem Kläger auf Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen keine, dem Beginn der Verjährungsfrist im Jahr 2015 auslösende Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorlag.

 

Das OLG habe es versäumt, festzustellen, ob der Kläger allgemein vom Dieselskandal Kenntnis erlangt hat. Eine solche Feststellung mag angesichts der umfangreichen Berichterstattung zwar nahe liegen, ist aber Sache des Tatrichters, so der BGH in einer Mitteilung.

 

Der Einrede der Verjährung stehe darüber hinaus die Hemmung durch die Anmeldung des Anspruchs im Klageregister zur Musterfeststellungsklage entgegen. So trete die Hemmungswirkung im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register ein. Dies gelte selbst dann, wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst im Jahr 2019 und damit nach Ablauf der ursprünglichen zivilrechtlichen dreijährigen Verjährungsfrist erfolgt sein sollte.

 

Weiter entschied der BGH, dass man sich auch zeitweise einer Musterklage anschließen kann, um mehr Zeit für die Vorbereitung einer eigenen Klage zu gewinnen. Dies sei nicht rechtsmissbräuchlich.

 

Mit diesem verbraucherfreundlichen Urteil wird den Argumentationen der Autobauer, womit spätestens im Jahr 2015 die Verjährung begonnen hat, der Wind aus den Segeln genommen. Hiermit bestätigt der BGH auch nochmal ausdrücklich, dass man sich auch zur Vorbereitung einer eigenen Privatklage vorübergehend einer Musterklage anschließen kann.

 

Sollten auch Sie vom VW-Abgasskandal betroffen sein, so zögern Sie nicht, Ihre Ansprüche durch uns prüfen zu lassen. Trotz der Vermutung, dass die Ansprüche verjährt sind, ist oftmals noch eine gerichtliche Durchsetzung möglich, was das vorbezeichnete Urteil des BGH anschaulich bestätigt.


BGH-Neuerungen bei der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO

BGH-Neuerungen bei der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO

1.

Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist.

2.

Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

3.

Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

4.

Auf einem Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.

5.

Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände an der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.

6.

Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

(BGH, Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20).

 

Mit der aktuellen Entscheidung wendet sich der BGH von seinem bisher anfechtungsfreundlichen Kurs ab und erhöht die Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes im Rahmen des § 133 InsO. In ständiger Rechtsprechung konnte bisher aus der nachgewiesenen (drohenden) Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners geschlossen werden.

Hier setzt die aktuelle Entscheidung der Karlsruher Richter an. Künftig reicht es nicht mehr aus, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung seine drohende oder gar schon eingetretene Zahlungsunfähigkeit kennt. Entscheidend ist, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch zukünftig nicht in der Lage sein wird, alle seine Gläubiger zu befriedigen.

 

Kenntnis der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit hat nur noch Indizwirkung

Die Kenntnis der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit ist daher lediglich noch ein Indiz für die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes. Die Stärke dieses Indizes hängt von der Dauer der Zahlungsunfähigkeit sowie den Aussichten, diese in absehbarer Zeit zu überwinden, ab. Entscheidend ist demnach das Ausmaß der bestehenden Deckungslücke. Lässt diese, selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, eine vollständige Befriedigung der vorhandenen und noch hinzutretenden Gläubiger nicht erwarten und befriedigt der Gläubiger in dieser Lage einzelne Gläubiger, ist regelmäßig von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auszugehen. Besteht dagegen Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, rückt der hierfür erforderliche Zeitraum sowie das Verhalten der Gläubiger in den Mittelpunkt der Betrachtung. Liegt ein erheblicher Mahn- und Vollstreckungsdruck vor, begrenzt dies den für eine Beseitigung der bestehenden Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum.

 

Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit alleine nicht mehr ausreichend

Auch die drohende Zahlungsunfähigkeit stellt alleine nun kein ausreichendes Indiz mehr für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz dar. Es bedarf künftig anderer weiterer Indizien, um Rechtshandlungen des Schuldners im Stadium nur drohender Zahlungsunfähigkeit anzufechten. Neben der inkongruenten Deckung (d. h. Erbringung der Leistung anders als vereinbart, z. B. vor Fälligkeit, nur Teilzahlungen usw.) erwähnen die Karlsruher Richter hier explizit die Befriedigung von Altgläubigern außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs.

 

Gesteigerte Darlegungs- und Beweisanforderungen für den Insolvenzverwalter

Der Insolvenzverwalter ist auch weiter Darlegung und beweisbelastet für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers von diesem. Im Falle fehlender anderer Indizien für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz muss der Insolvenzverwalter neben der Zahlungsunfähigkeit auch nachweisen, dass keine begründeten Aussichten auf Beseitigung der Deckungslücken bestanden. Dies sei, so der BGH, regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Ursache für die Entstehung der Zahlungsunfähigkeit nicht beseitigt war oder absehbar beseitigt werden würde.

Mit dieser Entscheidung des BGH wird die Ausrichtung der Vorsatzanfechtung geändert. Wie sich diese Rechtsprechungsänderung in der Praxis auswirkt, bleibt abzuwarten.


Einsicht der Personalakten unter Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.07.2016 – 9 AZR 791/14

Zum vorliegenden Sachverhalt ist der Kläger nach einem Betriebsübergang bei der Beklagten als Lagerist beschäftigt. Die bisherige Arbeitgeberin des Klägers hatte diesem eine Ermahnung erteilt und seinen Antrag, unter Hinzuziehung einer Rechtsanwältin, Einsicht in die Personalakten zu nehmen, unter Hinweis auf ihr Hausrecht abgelehnt. Allerdings hatte sie dem Kläger gestattet, Kopien von den Schriftstücken in seinen Personalakten zu fertigen.

Das Bundesarbeitsgericht entschied im Rahmen der ihm vorgelegten Klage, dass der Arbeitnehmer kein Recht hat, unter Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes, Einsicht in die Personalakte zu nehmen.

Es ist ihm zwar gestattet, selbst Einsicht zu nehmen und hierzu ein Mitglied des Betriebsrates heranzuziehen (§ 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG), jedoch sind die Einsichtsrechte des Arbeitnehmers ausschließlich und abschließend geregelt.

Dem Kläger ist es jedoch möglich, für sich Kopien, der in seinen Personalakten befindlichen Dokumente anzufertigen, da der Beklagte an die Erlaubnis hierzu gebunden ist (§ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB), so dass der Kläger den Inhalt seiner Personalakte mittels der gefertigten Kopien mit seinem Rechtsanwalt erörtern kann.


Widerrufsrecht beim Messekauf

OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2016 – 4 U 217/15

In vorliegendem Urteil beanstandete der Kläger die ausbleibende Belehrung über ein Widerrufsrecht beim Verkauf von Dampfstaubsaugern auf der „Grünen Woche“ in Berlin.

Das Landgericht wies die Klage jedoch mit der Begründung ab, dass der Beklagte seine Kunden nicht über ein Widerrufsrecht nach § 312 g Abs. 1 BGB belehren müsse. Zur Begründung führt das Landgericht an, dass der Vertrieb von Dampfstaubsaugern nicht außerhalb geschlossener Geschäftsräume stattfand, so dass dem Verbraucher kein Widerrufsrecht nach § 312 g Abs. 1 BGB zustehe und dementsprechend keine Belehrung hierüber von Nöten sei. Folglich hat die Beklagte durch ihre geschäftliche Handlung auch nicht gegen die verbraucherschützenden Informations- und Belehrungspflichten aus § 312 d BGB verstoßen, da sie sich nicht außerhalb geschlossener Geschäftsräume befand. Dies liegt daran, dass der Messestand der Anbieterin ein beweglicher Gewerberaum ist, in dem diese ihre Tätigkeit für gewöhnlich ausübt.

Zu beachten ist hier jedoch die Abgrenzung der „für gewöhnlich“ von einer ausnahmsweise gewerblichen Tätigkeit. Hierfür maßgeblich ist, ob der Verbraucher am Ort des Geschäfts mit dem Auftreten des Unternehmers rechnen muss oder ob eine Überrumplungssituation vorliegt. Im vorliegenden Urteil wurde die Überrumplungssituation im Kontext der Messe und des Themas der Ausstellungshalle „Haustechnik“ verneint.


Altersdiskriminierende Kündigung im Kleinbetrieb

Urteil des 6. Senats vom 23.07.2015 – 6 AZR 457/14

Ist bei der Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin aufgrund von ihr vorgetragener Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters nach § 22 AGG zu vermuten und gelingt es dem Arbeitgeber nicht, diese Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam.

Die am 20.01.1950 geborene Klägerin war bei der beklagten Gemeinschaftspraxis seit dem 16.12.1991 als Arzthelferin beschäftigt. In der Praxis waren im Jahr 2013 noch vier jüngere Arbeitnehmerinnen tätig. Die Klägerin war zuletzt überwiegend im Labor eingesetzt. Die Gesellschafter der Beklagten kündigten ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.05.2013 zum 31.12.2013 wegen Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Dabei führten sie an, die Klägerin sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Den anderen Beschäftigten wurde nicht gekündigt. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benachteiligung wegen ihres Alters vermuten. Nach Darstellung der Beklagten sollte die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden. Die Kündigung sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 bis 80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Deshalb sei ihr gekündigt worden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichtes Erfolg. Die Kündigung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG und ist deshalb unwirksam. Die Beklagte hat keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt. Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zusteht, kann noch nicht festgestellt werden. Die Sache wurde insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nr. 37/15


Interview von Rechtsanwalt Manuel Ast im Magazin MedMaxx

Manuel Ast ist seit 14 Jahren Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht und als Partner in der Rechtsanwaltskanzlei Engelmann Eismann Ast tätig. Er befasst sich überwiegend mit dem Bereich Sanierung und Insolvenz. Dabei ist er zum einen als gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter, zum anderen als beauftragter Rechtsanwalt mit der Begleitung von in der Krise befindlichen Unternehmen und Unternehmern betraut – so auch häufig mit Arztpraxen in der Krise.

Was sind aus Ihrer Erfahrung die häufigsten Grunde, weshalb eine Arztpraxis in Schieflage gerät?

Bei den Krisenursachen für Arztpraxen würde ich zwischen endogenen und exogenen Insolvenzursachen differenzieren. Zu den häufigsten endogenen Krisenursachen zählen Krankheit, Missmanagement sowie fehlendes betriebswirtschaftliches Verständnis. Gerade im Bereich der Arztpraxen ist es häufig so, dass die hochqualifizierten Mediziner zwar Spezialisten ihres Fachbereiches sind, den für die Unternehmereigenschaft aber ebenso wichtigen betriebswirtschaftlichen Bereich oft vernachlässigen bzw. nicht genau genug im Blick haben. Im Rahmen der exogenen Ursachen können insbesondere tiefgreifende Änderungen im Honorarsystem der Krankenkassen sowie zu starke Abhängigkeiten von einzelnen lokalen Zuweisern
benannt werden, deren Wegfall sich dann tiefgreifend auf die Einnahmesituation der
Praxis auswirkt. Es ist selten, dass eine Insolvenzursache allein die Krise bedingt. Meist wirken mehrere Faktoren multikausal zusammen und münden dann in einen Liquiditätsengpass, den es frühzeitig zu erkennen und zu überwinden gilt. Eine „Vogel-Strauß“-Mentalität ist in der Krise zwar menschlich nachvollziehbar, führt aber stets zu einer Vertiefung und Verkomplizierung der wirtschaftlichen Schieflage.

Welche Tipps und Handlungsempfehlungen geben Sie Praxen, die erste Alarmzeichen der Stufe „gelb“ aufweisen und wie können Ärzte rechtzeitig Gefahren erkennen?

Grundsätzlich rate ich jedem Unternehmer und damit auch Ärzten dazu, die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen ihrer Praxis im Blick zu haben und mit deren Ergebnis sich selbst gegenüber offen umzugehen. Dabei ist darauf zu achten, dass durch die meist beteiligten Steuerberater den Ärzten auch aktuelle Kennzahlen zur Verfügung gestellt werden. Sobald sich im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen eine Krise abzeichnet, sollte schnell qualifizierter Rat eines externen Beraters eingeholt werden. Ich erachte eine objektive, umfassende und ehrliche Sicht auf die Situation als wesentliche Ausgangslage für eine mögliche Sanierung. Von dieser Situationsaufnahme ausgehend sollte dann eine Weichenstellung dahingehend erfolgen, ob eine Sanierung der Praxis außerhalb eines Insolvenzverfahrens oder im Insolvenzverfahren indiziert ist. Dabei ist es meiner Erfahrung nach wichtig, insbesondere auch mit einem Insolvenzszenario vorbehaltlos umzugehen. Die Insolvenz ist in Deutschland zu Unrecht stigmatisiert.

Unter welchen Voraussetzungen raten Sie zu einer „Selbstheilung“ durch Eigensanierungsmaßnahmen und wann ist eine Insolvenz angezeigt?

Die Entscheidung zwischen diesen beiden Handlungsalternativen ist auf den jeweils vorliegenden Fall maßgeschneidert zu treffen. Es gibt jedoch klare Voraussetzungen, die in die eine oder die andere Richtung führen. So können bspw. nicht lösbare steuerliche Probleme wie nicht privilegierte Sanierungsgewinne in erheblicher Höhe bei Schuldenschnitt der Gläubiger oder ein in Folge erheblichen Abfindungsrisikos nicht bezahlbarer aber gleichwohl nötiger Personalabbau oder das Bestehen zu vieler ungünstiger Dauerschuldverhältnisse sowie eine ungünstige Gläubigerstruktur einem geordneten Insolvenzverfahren den eindeutigen strategischen Vorzug geben. Hier kann durch die Zäsurwirkung der Insolvenzeröffnung ein klarer Schnitt bewirkt werden, der dazu führt, dass tatsächlich nur der gesunde Kern der Unternehmung herausgeschält und – ggf. im Rahmen einer sog. übertragenden Sanierung auf einen Investor – fortgeführt wird. Selbstverständlich sind auch Sanierungsmaßnahmen im engeren Sinne miteinander kombinierbar. Eine Selbstheilung durch Eigensanierung ist aus meiner Sicht dann angezeigt, wenn durch schlüssige Sanierungsmaßnahmen die wesentlichen endogenen und exogenen Krisenursachen beseitigt werden können und die Gläubigerstruktur bei transparenter konstruktiver Verhandlung auf der Basis eines Insolvenzszenarios als negative Vergleichsalternative einen Schuldenschnitt bzw. konstruktive Gläubigerbeiträge ermöglicht.

Welche speziellen Sonderfragen treten bei der Insolvenz von Ärzten im Vergleich zu anderen Freiberuflern in der Beratung hauptsächlich auf?

Die Krise von Ärzten ist oft von komplexen medizinrechtlichen Fragestellungen und spezifischen Besonderheiten, die der Betrieb einer Arztpraxis in der jeweiligen Fachrichtung mit sich bringt, überlagert. Ich beobachte häufig, dass von Krisen
betroffene Ärzte sich zu lange schuldnergeknebelt durch die Krise bewegen, wobei sie sich auch in die Gefahr strafrechtlicher Sanktionen begeben. Sie verkennen dabei oft, dass es auf sie als die zentrale Figur der Unternehmung meist wesentlich ankommt, was Vergleichsmöglichkeiten in Richtung der Gläubiger außerhalb eines Insolvenzverfahrens bzw. im Insolvenzverfahren durch Insolvenzplanlösungen möglich macht. Der nicht selten wesentliche Vermögensgegenstand, die kassenärztliche Zulassung und damit Möglichkeit der Umsatz- und Gewinnerzielung in der gefundenen Marktposition, ist gerade dem Insolvenzbeschlag nicht unterworfen. Damit haben die Ärzte einen erheblichen Vorteil, den sie mit dem Ziel ihrer
Entschuldung nutzen können.