Erstes OLG-Urteil zu VW EA 288: Volkswagen muss Schadensersatz bezahlen

Das OLG Naumburg hat als erstes Oberlandesgericht mit Urteil vom 09.04.2021 den Volkswagen-Konzern im zweiten Diesel-Abgasskandal um den Motor VW EA 288 aufgrund vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zum Schadensersatz verurteilt (Urteil vom 09.04.2021, Az.: 8 U 68/20).

Es handelt sich um das erste erfolgreiche obergerichtliche Urteil gegen die Volkswagen AG zu einem Fahrzeug, in dem ein Motor EA 288 installiert ist und bei dem die Beklagte vor dem Oberlandesgericht auch mündlich verhandelt hat. Zuvor waren lediglich Versäumnisurteile ergangen. Bei dem Motor EA 288 handelt es sich um den Nachfolgemotor des seinerzeit den Abgasskandal auslösenden EA 189.

Hintergrund

Im Verfahren ging es um einen Golf VII 2.0 TDI, in dem ein VW-Motor EA2 88 der Norm Euro 6 verbaut ist. Das Fahrzeug wurde am 10.10.2017 gebraucht erworben, das Datum der Erstzulassung ist der 04.09.2015. Für das Fahrzeug gab es keinen amtlichen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes. Der Kläger war der Ansicht, dass auch in dem Nachfolgemotor EA 288 eine illegale Abschalteinrichtung installiert und genutzt wird. Diese Rechtsansicht hat das Oberlandesgericht Naumburg nun bezüglich einer genutzten Zykluserkennung, der sogenannten Fahrkurvenerkennung, bestätigt. Das erstinstanzlich vor dem Landgericht Halle geführte Verfahren ging noch verloren. Das Landgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass der Kläger nicht ausreichend substantiiert zu Abschalteinrichtungen vorgetragen habe. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung vor dem Oberlandesgericht Naumburg hatte Erfolg.

 

OLG Naumburg: Unzulässige Abschalteinrichtung

Das Oberlandesgericht Naumburg sieht es als erwiesen an, dass in dem streitgegenständlichen Golf VII 2.0 eine als illegal anzusehende Abschalteinrichtung installiert ist und das Verhalten der Volkswagen AG eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begründen würde. Folgerichtig wurde die VW als Beklagte zu Schadensersatz verurteilt. Im Rahmen der Entscheidungsgründe hat das Oberlandesgericht zu diversen Fragen Stellung genommen, die auch in anderen Verfahren um den Motor EA 288 immer wieder streitgegenständlich sind. VW dementierte stets das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Motoren des Typs EA 288 und verteidigte sich in Verfahren regelmäßig damit, Kläger würden das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausreichend belegen; zudem habe das Kraftfahrtbundesamt (KBA) bei Untersuchungen zum Motor EA 288 keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.

Dieser Auffassung erteilt das Oberlandesgericht in seinem Urteil eine klare Absage. Das Gericht stellte fest, dass sich die Volkswagen AG nicht darauf berufen kann, dass „(auch) nach Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Abschalteinrichtung nicht unzulässig sei, sofern auch bei ihrer Deaktivierung die Grenzwerte eingehalten würden.“ Dies insbesondere deshalb nicht, weil insoweit „nicht die Beklagte bei der Installierung der Abschalteinrichtung einer diesbezüglich bestehenden Rechtsauffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes gefolgt“ sei, sondern vielmehr das Kraftfahrt-Bundesamt „der von der Beklagten nach Offenlegung der im EA288 verbauten Abschalteinrichtung hierzu vertretenen und in jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrenden Rechtsauffassung angeschlossen“ hat. Das Gericht geht davon aus, dass VW „unter Vorlage entsprechender eigener Messergebnisse an das KBA herangetreten ist, diesem versichert hat, dass infolge fehlender Grenzwertkausalität keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt und das KBA diesen Standpunkt übernommen hat“.

Zur Frage der Sittenwidrigkeit des Verhaltens führt das Gericht aus, dass sich diese allein aus dem vom Profitinteresse der Beklagten geleiteten Handeln, sowie aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich dem Kraftfahrt-Bundesamt, und unter Inkaufnahme einer Schädigung nicht nur der Käufer, sondern auch der Umwelt ergäbe.

Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, die Beklagte kann noch eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Die Revision wurde allerdings ausdrücklich nicht zugelassen, weil das Gericht die Angelegenheit für abschließend geklärt hält und eine Vorlage zum BGH für nicht nötig erachtet. Hierdurch werden die Ansprüche betroffener VW Kunden schon jetzt gestärkt. Auch wenn die Volkswagen AG im Rahmen einer Online-Kampagne die Situation für Fälle zum Motor EA 288 als nahezu aussichtslos darzustellen versucht, steht fest, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 17. Dezember 2020 (Az. C-693/18) und dem aktuellen Urteil des OLG Naumburg die Chancen auf Schadensersatz für Verbraucher im Dieselskandal um den Motor EA 288 enorm gestiegen sind.

 

Sind Sie Halter eines Fahrzeugs mit dem VW Motor EA 288? Gerne prüfen wir für Sie die Möglichkeit einer Schadensersatzforderung. In den meisten Fällen tragen die Rechtschutzversicherungen die Kosten eines Verfahrens, weshalb Ihr Kostenrisiko fast entfällt und sich in der Regel auf die mit der Versicherung vereinbarten Selbstbeteiligung reduziert.