Mietrecht: Volle Mietzahlungspflicht des Gewerbemieters bei behördlich angeordneter Schließung in Zeiten der Coronapandemie?
Viele Gewerbemieter haben infolge der behördlichen Schließungsanordnungen aufgrund der Coronapandemie ihre Mietzahlungen eingestellt. Welche rechtlichen Konsequenzen sich hieraus ergeben, beschäftigt immer mehr Gerichte. Zwischenzeitlich liegen mit dem Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 19.08.2020, Az.: HK O 17/20 und dem Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 30.07.2020, Az.: 5 O 66/20, erste Entscheidungen zugunsten der Vermieter vor. Das Landgericht München hat allerdings zugunsten der Mieter entschieden. Noch kann man keine klare Tendenz in der Rechtsprechung erkennen, da auch obergerichtliche Entscheidungen bislang fehlen. Von dem her bleibt es abzuwarten, ob Gewerbemieter trotz behördlicher Schließungsanordnungen uneingeschränkt zur Zahlung der Miete verpflichtet bleiben oder nicht.
LG München I bejaht Mietmangel i.S.d. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB
Das LG München I hat in seinem Urteil vom 22.09.2020 einen Mangel der Mietsache bejaht, der zu einer Minderung der Miete um bis zu 100 Prozent führen kann. In dem zugrundeliegenden Fall hatte der Mieter eines Möbelgeschäfts mit Wohnaccessoires in Innenstadtlage wegen der corona-bedingten Schließungsordnung ab April 2020 die Mietzahlungen eingestellt.
LG München bezieht sich auf Entscheidungen des Reichsgerichts
Das LG München I beruft sich hierbei im Wesentlichen auf vier Urteile des Reichsgerichts aus der Zeit des ersten Weltkrieges (Entscheidung vom 09.11.1915, Rep. III.145/15; Entscheidung vom 15.02.1916, Rep. III.333/15; Entscheidung vom 26.10.1917, Rep. III 212/17), darunter auch die bekannte Tanzlokalentscheidung. Das Gericht schließt sich den Reichsgerichtsentscheidungen an, die aufgrund des Verbots der Öffnung von Verkaufsstellen für den Einzelhandel oder das Gastgewerbe einen Mangel i.S.d. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB bejahen, da die Tauglichkeit der Mieträume für den vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder gemindert ist.
So führt es aus:
„Schriftlich festgelegter (§ 1 Mietvertrag) und überdies deutlich von den Parteien vorausgesetzteer Mietzweck war der Betrieb zur Nutzung als Möbelgeschäft mit Wohnaccessoires zum Zwecke des Einzelhandels. Dieser Mietzweck konnte nach den öffentlich-rechtlichen Beschränkungen infolge der Corona Pandemie nicht mehr eingehalten werden. Diese Beschränkungen fallen nicht in den Risikobereich der beklagten Mieterin. Soweit vertragsgemäß festgehalten ist, dass die Mieterin verpflichtet ist, auf ihr Risiko alle weiteren etwaigen für ihren Betrieb erforderlichen behördlichen Genehmigungen einzuholen und aufrechtzuerhalten, führt dies zu keiner anderen Risikoverteilung, da dies nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien nur baurechtliche oder ggf. arbeitsrechtliche Genehmigungen sein konnten; die Parteien haben sich sicherlich zur Zeit des Abschlusses des Mietvertrages keine Gedanken um Nutzungseinschränkungen in der Innenstadt wegen seuchenrechtlicher Maßnahmen gemacht. Damit trifft die behördliche Einschränkung die vertragsgemäß vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit der Mietsache selbst, da nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien gerade ein Ladengeschäft für hochwertige Möbel und hochwertige Wohnaccessoires in zentraler Münchner Lage betrieben werden sollte. An diesem Mietzweck muss sich auch die Vermieterin festhalten lassen, der zudem gelegen war eine hochwertige Umgebung für das Gesamtensemble zu erhalten. Damit unterscheidet sich die Situation auch grundsätzlich von der Situation einer Gaststätte, die von durch Volksentscheid herbeigeführter Bayerischen Rauchverbotsregelung betroffen ist. Vorliegend ist der vereinbarte und von beiden Parteien vorausgesetzte Nutzungszweck der Mietsache, auf dem die Fruchtziehung der Beklagten beruht, erheblich gestört. Dies begründet in der vorliegenden Gewerbemiete mit oben angeführten Darlegungen einen Mietmangel.“
LG Heidelberg und LG Zweibrücken sehen keinen Mangel i.S.d. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB
Demgegenüber haben sowohl das LG Zweibrücken als auch das LG Heidelberg das Vorliegen eines Mietmangels verneint. Dies wird damit begründet, dass Geschäftsschließungen, die auf behördlichen Beschränkungen und gesetzgeberischen Maßnahmen beruhen, gerade nicht unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand und der Lage des Mietobjekts im Zusammenhang stehen.
Keine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB
Die Gerichte sind sich bisher nicht einig, ob eine Störung der Geschäftsgrundlage hier vorliegt. Das LG Heidelberg verneint eine Vertragsanpassung zugunsten des Mieters, weil diesem ein unverändertes Festhalten an der vertraglich vereinbarten Mietzahlung unter Abwägung aller Umstände einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung zumutbar ist. Im entscheidenden Fall kam das LG Heidelberg zu dem Ergebnis, dass weder eine Existenzgefährdung noch eine unzumutbare wirtschaftliche Beeinträchtigung des Mieters vorliegt. Begründet wird dies insbesondere damit, dass dem vorgetragenen Nettoumsatzrückgang weder die ersparten Mitarbeiterkosten durch die Inanspruchnahmen von Kurzarbeit noch etwaige Rücklagen gegenübergestellt wurden. Zudem spricht entscheidend gegen eine Unzumutbarkeit der begrenzte Zeitraum der Schließung von nur 4,5 Wochen.
Kein Entfallen der Mietzahlungspflicht wegen Unmöglichkeit i.S.d. § 326 Abs. 1 BGB
Das LG Heidelberg hat ein Entfallen der Mietzahlungspflicht wegen Unmöglichkeit verneint, da der Vermieter seiner Leistungspflicht (Zurverfügungstellen der Mieträume) auch dann nachgekommen ist, wenn der Mieter die Räumlichkeiten faktisch wegen der behördlichen Schließungsanordnungen nicht als Verkaufsflächen nutzen konnte.
Die Frage der Mietzahlungspflicht bei Gewerbemietraum ist auch nach den ersten gerichtlichen Entscheidungen noch offen. Erst wenn obergerichtliche Entscheidungen vorliegen, lässt sich eine klare Tendenz ableiten. Grundsätzlich stehen die Chancen für Mieter aber nach der Entscheidung aus München nicht schlecht, zumindest eine Mietminderung durchzusetzen. Bei Fragen rund um das Thema Gewerbemietvertrag und Mietzahlungspflicht stehen wir Ihnen in unserer auf das Mietrecht spezialisierten Kanzlei kompetent zur Seite.
Rechtsanwältin Martina Hunneshagen
Fachanwältin für Familienrecht