Insolvenzrecht - keine Möglichkeit der Insolvenzanfechtung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVINSAG

Im Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die Covid-19-Pandemie bedingten Insolvenz (Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz-COVInsAG) ist unter § 2 die folgende Aussetzung geregelt. Insbesondere trifft § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG folgende Aussage:

Soweit nach § 1 Abs. 1 COVInsAG die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.

Entsprechendes gilt für

a) Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber;
b) Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung eines Schuldners;
c) die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist;
d) die Verkürzung von Zahlungszielen.

Hintergrund:

Das Landgericht Hamburg hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem ein Sachwalter eine Gesellschaft auf Rückzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nach Insolvenzanfechtung in Anspruch genommen hat. Das LG Hamburg entschied mit Urteil vom 08.09.2021, Az.: 336 O 65/21, dass die streitgegenständlichen Zahlungen § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG unterliegen und damit eine insolvenzrechtliche Anfechtung nach § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO ausscheidet. Der Kläger ist Sachwalter im Rahmen des über das Vermögen der GmbH in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahrens. Arbeitnehmer der Schuldnerin waren bei der Beklagten sozialversichert. Aufgrund eines im Juli 2020 bei Gericht eingegangenen Eigenantrags der Schuldnerin wurde mit Beschluss des zuständigen Insolvenzgerichts das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet und der Kläger zum Sachwalter bestellt. Mit Schreiben vom Juni 2020 informierte die Sanierungsberaterin der Schuldnerin die Beklagte darüber, dass nach Überprüfung der wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin dieser angeraten worden sei, zeitnah einen Insolvenzantrag in Eigenverwaltung zu stellen. Die Sanierungsberaterin gehe davon aus, dass etwaige von der Schuldnerin an die Beklagte geleisteten Zahlungen nach Eröffnung eines möglichen Insolvenzverfahrens anfechtbar sein dürften. Im Zeitraum von Juli 2020 bis September 2020 leistete die Schuldnerin auf fällige und durchsetzbare Beitragsforderungen für die Monate Juli bis September 2021 vier Zahlungen über insgesamt ca. 22.000,00 € an die Beklagte, auf den Beitrag für August 2021 zahlte die Beklagte im September 2020 ca. 2.000,00 € an die Schuldnerin zurück. Im Verwendungszweck der Zahlungen gab die Schuldnerin jeweils „Zahlung nur unter Vorbehalt der Rückforderung“ an. Mit Schreiben vom Oktober 2020 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Anfechtung der im Zeitraum von Juli bis September 2020 geleisteten Zahlungen geltend und forderte die Beklagte zur Rückzahlung auf. Mit Schreiben vom November 2020 lehnte die Beklagte eine Rückzahlung unter Verweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ab.

 

LG Hamburg: Klage unbegründet

Das LG Hamburg entschied, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückgewähr der von der Schuldnerin im Zeitraum von Juli 2020 bis September 2020 an die Beklagte geleisteten Zahlungen hat. Dabei könne dahinstehen, ob der Kläger überhaupt die Anfechtungsvoraussetzungen nach § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO hinreichend dargelegt hat. Dass der Beklagten die tatsächlich erfolgte Stellung eines Insolvenzantrags durch die Schuldnerin zur Kenntnis gegeben worden sei, hat der Kläger nicht dargetan, vielmehr hat er lediglich vorgetragen, dass der Beklagte mit dem Schreiben der Sanierungsberaterin der Schuldnerin mitgeteilt worden sei, dass der Schuldnerin die Stellung eines Insolvenzantrags habe angeraten werden müssen und ein solcher nunmehr vorbereitet werde. Zwar steht nach § 130 Abs. 2 InsO der Kenntnis eines gestellten Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Stellung eines Eröffnungsantrag schließen lassen. Für einen solchen zwingenden Schluss dürfte die bloße Ankündigung der Stellung eines Insolvenzantrags aber nicht ausreichen. Allerdings unterliegen die streitgegenständlichen Zahlungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht der insolvenzrechtlichen Anfechtung nach § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO. Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 COVInsAG ist im vorliegenden Fall eröffnet. Die streitgegenständlichen Zahlungen wurden im Zeitraum von Juli 2020 bis September 2020 und damit in dem in § 1 COVInsAG genannten Aussetzungsantrag geleistet. Der Eröffnung des Anwendungsbereichs steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers den Insolvenzantrag lediglich wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt hat. Nach § 2 Abs. 2 HS 2 COVInsAG gilt der Anfechtungsausschluss des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vielmehr ausdrücklich auch für den Schuldner, der weder zahlungsunfähig noch überschuldet ist und damit keiner Insolvenzantragspflicht nach § 15 a InsO unterliegt.

Bei den Zahlungen handelte es sich zudem nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten um kongruente Rechtsdeckungshandlungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG.

Der Anfechtungsausschluss nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG beansprucht insbesondere auch dann Geltung, wenn ein Schuldner einen Insolvenzantrag gestellt hat und dies dem Zahlungsempfänger bekannt ist. Der Anfechtungsausschluss nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG gilt ausdrücklich auch für Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind. Erklärtes gesetzgeberisches Ziel des in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG normierten Anfechtungsausschluss ist es, Sanierungsbemühungen eines pandemiebedingt in die Krise geratenen Schuldners zu unterstützen. Eine Beschränkung des gesetzgeberischen Ziels des in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG normierten Anfechtungsausschlusses auf außerhalb eines Insolvenzverfahrens erfolgte Sanierungsbemühungen ergibt sich nicht. Es entspricht gerade nicht der Konzeption der Insolvenzordnung, die Sanierung eines Unternehmens bereits mit Stellung eines Insolvenzantrags als gescheitert anzusehen. Dann muss aber das mit dem in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG normierten Anfechtungsausschluss verfolgte gesetzgeberische Ziel, die Sanierung eines in die Krise geratenen Unternehmens dadurch zu erleichtern, dass ihm durch die Anordnung der Insolvenzfestigkeit von ihm geleisteter Zahlungen die Aufrechterhaltung seiner Geschäftsbeziehungen ermöglicht wird, gleichermaßen auch noch nach Stellung eines Insolvenzantrags verwirklicht werden können.

 

Bei Fragen rund um das Thema Insolvenzanfechtung sowie Fragen der Anwendbarkeit des COVInsAG stehen wir Ihnen in unserer auf das Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei gerne zur Verfügung.