EuGH-Urteil- Rufbereitschaft zählt zur Arbeitszeit

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass der Bereitschaftsdienst von zu Hause, auch Rufbereitschaft genannt, ebenfalls als Arbeitszeit gilt. Hierfür sind bestimmte Voraussetzungen nötig, die der EuGH im Fall eines Offenbacher Feuerwehrmannes präzisiert hat (EuGH, Urteil vom 09.03.2021, Az.: C- 580/19).

 

Hintergrund

Im vorliegenden Fall hatte der EuGH auf Vorlage des zuständigen Verwaltungsgerichts Darmstadt zu entscheiden, ob die Rufbereitschaft eines Offenbacher Feuerwehrmannes, für die kein bestimmter Ort vorgegeben ist, er aber innerhalb von 20 Minuten an der Stadtgrenze von Offenbach sein muss, als Arbeitszeit zu werten ist. Mit seinem Urteil hat der EuGH Kriterien zur Abgrenzung von Ruhezeit und Arbeitszeit vorgegeben. Entscheiden kommt es danach auf die konkreten Einschränkungen während der Bereitschaft an. Im Fall des Offenbacher Feuerwehrmannes musste dieser sich, nach den Vorgaben seines Arbeitgebers, während seines Rufbereitschaftsdienstes regelmäßig für einen möglichen Einsatz bereithalten. Wo er sich aufhalten muss, hat der Arbeitgeber nicht vorgegeben, sodass er den Ort grundsätzlich frei wählen darf. Allerdings muss er im Notfall die Stadtgrenze von Offenbach innerhalb von 20 Minuten in Arbeitskleidung mit seinem Einsatzfahrzeug erreichen können. Der Arbeitnehmer möchte, dass diese Zeit, in der er erreichbar und sich bereithalten muss, als Arbeitszeit anerkannt und damit entsprechend vergütet wird. Die Stadt Offenbach als Arbeitgeberin hat das abgelehnt. Das zuständige Verwaltungsgericht Darmstadt legte die Sache dem EuGH vor.

 

Bereitschaftszeit: Entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit

Der EuGH hat zunächst klargestellt, dass der Bereitschaftsdienst eines Arbeitnehmers entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzustufen ist. Wird der Arbeitnehmer während seines Bereitschaftsdienstes nicht tätig, bedeute das nicht zwingend, dass die Zeit als Ruhezeit zu werten ist. Schon 2003 hat der EuGH entschieden, dass eine Bereitschaftszeit, unabhängig vom tatsächlichen Einsatz, Arbeitszeit sein kann, wenn der Arbeitnehmer während der Zeit verpflichtet ist, an seinem Arbeitsplatz, der nicht mit seiner Wohnung identisch ist, zu bleiben und sich dort seinem Arbeitgeber zur Verfügung zu halten.

 

Bereitschaftsdienst kann bei Einschränkungen Arbeitszeit sein

Bereitschaftszeiten, bei denen der Arbeitnehmer Rufbereitschaft außerhalb seines Arbeitsplatzes hat, kann als Arbeitszeit eingestuft werden. Aus Sicht des EuGH ist dies dann der Fall, „wenn dem Arbeitnehmer Einschränkungen für die Bereitschaftszeit vorgegeben sind, die ihn objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen, diese Zeit, in der er sich bereit hält, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen. Gibt es keine derartigen Einschränkungen, soll umgekehrt nur die Zeit als Arbeitszeit anzusehen sein, die mit der gegebenenfalls tatsächlich während solcher Bereitschaftszeiten erbrachten Arbeitsleistung verbunden ist. Eine Einstufung der Bereitschaftszeiten als Ruhezeit darf nach Ansicht der Luxemburger Richter nicht dazu führen, dass Arbeitgeber sie so lang oder so häufig einführen, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen. Der EuGH weist darauf hin, dass bei der Beurteilung nur solche Einschränkungen berücksichtigt werden könnten, die dem Arbeitnehmer durch nationale Rechtsvorschriften, durch einen Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden. Unerheblich seien dagegen organisatorische Schwierigkeiten, die eine Bereitschaftszeit infolge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers für ihn mit sich bringen kann. Als Beispiel nannte der Gerichtshof den Fall, dass der Arbeitnehmer während seiner Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft ein gebiet praktisch nicht verlassen kann, das kaum Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten biete.

 

Reaktionszeit und Häufigkeit der Einsätze als Kriterien

Die Luxemburger Richter wiesen darauf hin, dass die nationalen Gerichte im Einzelfall eine Gesamtwürdigung vornehmen müssen, um über eine Einstufung der Rufbereitschaft als Arbeitszeit oder Ruhezeit zu entscheiden. Vorliegend muss nun das Verwaltungsgericht Darmstadt in der Sache urteilen. Kriterien, die die Gerichte bei der Beurteilung zu berücksichtigen haben, sind aus Sicht des EuGH die konkreten Fristen, innerhalb derer der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnehmen muss. Bereits im Jahr 2018 hatte der EuGH bereits entschieden, dass der Bereitschaftsdienst eines belgischen Feuerwehrmannes, der innerhalb von acht Minuten bereit sein muss, als Arbeitszeit einzustufen ist (EuGH, Urteil vom 21.02.2018, Az.: C- 518/15). Als weiteres Kriterium müsse die Häufigkeit, mit der Einsätze zu erwarten seien, bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Hat der Arbeitnehmer grundsätzlich viele Einsätze zu erwarten, spreche das für eine Einordnung als Arbeitszeit. In solchen Fällen habe der Arbeitnehmer keinen Spielraum, seine Zeit als Freizeit zu planen.

 

Arbeitszeit unabhängig von Vergütung

Der EuGH stellte zudem fest, dass die Frage nach der Vergütung von Arbeitnehmern für Bereitschaftszeiten unabhängig von der Einstufung als Arbeitszeit ist. Daher könne es aufgrund von innerstaatlichen Rechtsvorschriften, einem Tarifvertrag oder einer Entscheidung des Arbeitgebers eine unterschiedliche Vergütung geben für Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird.

Es bleibt nun abzuwarten, wie das Verwaltungsgericht Darmstadt in dieser Sache entscheiden wird. Wir halten Sie hierzu auf dem Laufenden.

 

Haben Sie Fragen zur Rufbereitschaft oder zu Ihren Arbeitszeiten? In unserer auf das Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.