Erbrecht - OLG Brandenburg zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments bei Tod des Nacherbens und den Voraussetzungen einer Ersatznacherbschaft

„Falls ein in einem gemeinschaftlichen Testament als Nacherbe bestimmter Abkömmling vor Eintritt des Nacherbfalls verstirbt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob nach dem Willen des Erblassers der Nachlass in der Familie bleiben soll und deshalb die Abkömmlinge als Nacherben an dessen Stelle treten sollen oder ob der Vorerbe insoweit frei über das Erbe verfügen kann.“

(Leitsatz Deutsches Notarinstitut zu OLG Brandenburg, Urteil vom 15.08.2023 – 3 U 204/2022).

Hintergrund

In dem vom OLG Brandenburg zu entscheidenden Fall begehrt die Klägerin Feststellung, dass sie zu 1/6 Nacherbin nach ihrem Großvater geworden ist. Die Großeltern der Klägerin, O. H. und R. H., errichteten am 25.05.1974 handschriftlich folgendes gemeinschaftliches Testament:

„Unser gemeinsamer letzter Wille

Wir setzen uns gegenseitig zu Erben der Weise ein, dass der Überlebende von uns hinsichtlich des Nachlasses des Erstversterbenden Vorerbe wird. Nacherben sind jeweils unsere gemeinsamen Kinder:

1. D .H.
2. M. H.
3. T. H.

Der Nacherbfall soll jeweils eintreten dann, wenn der Überlebende von uns verstirbt oder sich wieder verheiratet.“

Der Erblasser verstarb am 06.04.2011, sein Sohn P. H. am 13.07.2011. Die Klägerin und ihre Schwester sind die einzigen Abkömmlinge des D. H. Dieser errichtete am 06.09.1996 ein handschriftliches Testament, mit dem er verfügte, dass im Falle meines Ablebens der mir gehörende Anteil von 50 % an dem Reihenhaus in das Eigentum meiner Lebensgefährtin C. N. übergeht und sie somit alleinige Eigentümerin dieses Wohnhauses wird. Am 13.01.2012 erließ das Amtsgericht einen Erbschein, der die Beklagte als Alleinerbin ausweist.

Der Erblasser hinterließ mehrere Grundstücke, die in seinem Alleineigentum gestanden hatten. Das Amtsgericht erteilte seiner Ehefrau R. H. am 07.06.2013 einen Erbschein, der sie als alleinige Vorerbin des Erblassers ausweist. In der Folge wurde sie mit Vorerbenvermerk als Alleineigentümerin in das Grundbuch von F. eingetragen. Das Grundbuch enthält außerdem einen Nacherbenvermerk unter namentlicher Nennung der drei Abkömmlinge des Erblassers.

R. H. verkaufte mit notariellem Vertrag vom 13.10.2021 die vorgenannten Grundstücke an ihre Enkelin und deren Ehemann. Die an dem Vertragsschluss beteiligten Nacherben und die Beklagte stimmten der Veräußerung zu und bewilligten die Löschung des Nacherbenvermerks. Während T. H. im Gegenzug ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt wurde, erhielten M. H. und die Beklagte jeweils eine Ausgleichszahlung von € 100.000,00.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass sie Nacherbin zu 1/6 nach dem am 06.04.2011 verstorbenen O. H. ist.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 18.10.2022 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, in Abweichung einer Entscheidung des BGH sei die Vermutungsregel des § 2069 BGB anzuwenden, die hier nicht widerlegt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe wurde auf das Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte wendet sich nun mit ihrer Berufung gegen die Klagestattgabe. Sie meint, die Klägerin habe kein Feststellungsinteresse, da die Ehefrau des Erblassers noch lebe. Auf Feststellung des Erbrechts nach noch lebenden Personen könne nicht geklagt werden, da die bloße Möglichkeit, Erbe zu werden, kein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO sei. Es liege im berechtigten Interesse des potentiellen Erblassers, nicht schon zu Lebzeiten in gerichtliche Verfahren über das Schicksal seines Vermögens verwickelt zu werden.

Außerdem sei die Klägerin nicht Nacherbin des Erblassers geworden. Dem Wortlaut des Testaments vom 25.05.1974 lasse sich keine Regelung für den Fall des Vorversterbens eines Nacherben entnehmen. Das Testament sei daher ergänzend auszulegen, in dem der hypothetische Wille der Testierenden im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ermittelt werden. Dieser könne entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht allein aus dem seinerzeitigen Alter der Eheleute und ihrer Abkömmlinge abgeleitet werden. Es sei aus damaliger Sicht nicht zwingend gewesen, dass die Söhne vor Eintritt des Erbfalls Abkömmlinge haben würden. Auch lasse diese bloße Möglichkeit keinen Rückschluss darauf zu, wie die Eheleute testiert hätten, wenn sie das Vorversterben eines ihrer Abkömmlinge bedacht hätten. Weitere Umstände, die dafür sprächen, dass die testierenden Ehegatten ihre Enkel als Ersatznacherben eingesetzt hätten, sei nicht ersichtlich. Es sei auf die gesetzlichen Auslegungs- und Vermutungsregeln zurückzugreifen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei § 2069 BGB auf den vorliegenden Fall allerdings nicht entsprechend anwendbar. Diese Frage sei zwar streitig. Der BGH habe aber zutreffend festgestellt, dass die Lebenserfahrung und die typische Interessenlage nicht ausreichend sein, um stets die vorhandene Regelungslücke dahingehend zu schließen, der Erblasser habe den Ersatznacherben den Vorzug geben wollen. Dem sei hier zu folgen, da der Erblasser nicht habe vorhersehen können, wie viele Enkelkinder haben würde.

Wenn wir hier kein entgegenstehender Wille des Erblassers feststellbar sei, gelte § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB. Danach gehe das Recht eines eingesetzten Nacherben auf dessen Erben über, wenn der eingesetzte Nacherbe vor Eintritt der Nacherbfolge, aber nach Eintritt des Erbfalls versterbe. Ein entgegenstehender Wille des Erblassers liege nicht vor.

Die Beklagte sei als Alleinerbin des vorverstorbenen Nacherben in dessen Rechtsposition eingerückt. Sie sei über 20 Jahre lang dessen Lebensgefährtin gewesen und habe zur Familie gehört.

Entscheidung des OLG Brandenburg: Feststellungsklage zulässig

Nach § 256 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses geklagt werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

Ein Rechtsverhältnis besteht hier zwischen den Parteien als jeweilige Nacherbprätendenten auch vor Eintritt des Nacherbfalls. Der Einwand der Beklagten, dass nicht schon zu Lebzeiten des Erblassers erbrechtliche Fragen durch Feststellungsklage geklärt werden könnten, da der Erblasser ein berechtigtes Interesse habe, nicht schon zu Lebzeiten in Rechtsstreitigkeiten über das Schicksal seines Vermögens nach seinem Tode verwickelt zu werden, verfängt hier nicht. Da der künftige Erbe zu Lebzeiten des Erblassers nur eine tatsächliche Aussicht auf den Erwerb der Erbschaft besitzt, ist ein bestehendes Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Erblasser grundsätzlich zu verneinen. Klagen auf Feststellungen des künftigen Eintritts oder des Nichteintritts eines gesetzlichen oder gewillkürten Erbrechts oder auf Feststellung des Entstehens bzw. nicht Entstehens eines Vermächtnisses sind unzulässig.

Anerkannt ist aber, dass ab Eintritt des ersten Erbfalls zwischen dem Vor- und Nacherben ein gesetzliches Schuldverhältnis und damit ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO besteht, welches Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann. So ist der Nacherbe etwa berechtigt, im Wege der Feststellungsklage die Unwirksamkeit gemäß § 2113 Abs. 2 BGB einer Verfügung des Vorerben für den Fall des Eintritts der Nacherbfolge geltend zu machen.

Auch hat die Klägerin ein rechtliches Interesse daran, dass das Bestehen dieses Rechtsverhältnisses alsbald durch richterliche Entscheidung festgestellt wird.

Die Klägerin ist zur Ersatznacherbin bestimmt. Stirbt der eingesetzte Nacherbe vor dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge, aber nach dem Eintritt des Erbfalls, so geht sein Recht auf seine Erben über, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist, § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB. Bei Anwendung der gesetzlichen Regelvorschrift wäre das Nacherbenrecht mit dem Tod des D. H. auf dessen Erben, hier also die Beklagte übergegangen. Hier ist aber ein auf den Ausschluss der Vererblichkeit gerichteter Wille des testierenden Ehegatten anzunehmen. Ob ein solcher Wille vorliegt, ist vorrangig durch unmittelbare, hilfsweise ergänzende Testamentsauslegung zu klären.

Bei der Frage nach dem konkludenten Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts stellt der BGH außerdem entscheidend darauf ab, ob es den Testierenden auf den Verbleib des Erblasservermögens über den Nacherbfall hinaus innerhalb der Familie ankam (dann gilt Ersatzerbfolge der weiteren Abkömmlinge) oder sie die Erhöhung der Kreditfähigkeit des unmittelbar berufenen Nacherben damit dessen Eigeninteresse im Sinn hatten (dann geht die Vererbung des Anwartschaftsrechts auf die Nacherben erben). Für letzteres spricht hier in Zusammenschau mit den vorgenannten Kriterien dem seinerzeitigen Alter der Abkömmlinge nichts.

In unserer auf das Erbrecht spezialisierten Anwälte stehen Ihnen bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen sowie bei Fragen zur Vor- und Nacherbschaft kompetent zur Verfügung.