Erbrecht - Brandenburgisches Oberlandesgericht zur Vor- und Nacherbschaft -Testamentsauslegung

„Falls ein in einem gemeinschaftlichen Testament als Nacherbe bestimmter Abkömmling vor Eintritt des Nacherbfalls verstirbt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob nach dem Willen des Erblassers der Nachlass in der Familie bleiben soll und deshalb die Abkömmlinge des Nacherben an dessen Stelle treten sollen oder ob der Vorerbe insoweit frei über das Erbe verfügen könne.“

OLG Brandenburg, Urteil vom 15.08.2023 – 3 U 204/22

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie zu 1/6 Nacherbe nach ihrem Großvater geworden ist. Die Großeltern der Klägerin errichteten im Jahr 1974 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament in dem sie sich gegenseitig zu Erben in der Weise einsetzen, dass der Überlebende von ihnen hinsichtlich des Nachlasses des Erstversterbenden Vorerbe wird. Nacherben sollten jeweils die gemeinsamen Kinder sein.

Der Nacherbfall sollte jeweils dann eintreten, wenn der Überlebende verstirbt oder sich wieder verheiratet.

Der Erblasser verstarb im Jahr 2011, sein Sohn ebenfalls. Die Klägerin und ihre Schwester sind die einzigen Abkömmlinge des verstorbenen Sohnes. Dieser errichtete 1996 ein handschriftliches Testament, mit dem er verfügte, dass im Falle seines Ablebens der ihm gehörende Anteil von 50 % an einem Reihenhaus in das Eigentum seiner Lebensgefährtin übergeht und sie somit alleinige Eigentümerin dieses Wohnhaus wird.

Der Erblasser hinterließ mehrere Grundstücke, die in seinem Alleineigentum gestanden hatten. Das Amtsgericht erteilte seiner Ehefrau im Jahr 2013 einen Erbschein, der sie als alleinige Vorerbin des Erblassers ausweist. In der Folge wurde sie mit Vorerbenvermerk als Alleineigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Das Grundbuch enthält außerdem einen Nacherbenvermerk unter namentlicher Nennung der drei Abkömmlinge des Erblassers.

Die Ehefrau des Erblassers verkaufte mit notariellem Vertrag die Grundstücke an ihre Enkelin und deren Ehemann. Die an dem Vertragsschluss beteiligten Nacherben und die Beklagte stimmten der Veräußerung zu und bewilligten die Löschung des Nacherbenvermerkes. Das OLG Brandenburg gab der Klägerin Recht und bestätigte, dass diese Nacherbin zu 1/6 geworden ist, da die im Testament der Eheleute H aus dem Jahr 1974 als Nacherbin eingesetzt wurde.

Die testierenden Ehegatten haben mit dem Testament aus dem Jahr 1974 eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet. Hierfür spricht bereits der Wortlaut. Aber auch wenn der Erblasser die Begriffe Vorerbe und Nacherbe verwendet, ist der wahre Erblasserwille zu ermitteln.

Maßgebend ist der in der letztwilligen Verfügung zutage getretene Wille, die Erbschaft zunächst dem ersten anschließend dem zweiten Berufenen zusenden zu wollen. Bei Eheleuten kann eine Nacherbschaft nur gewollt sein, wenn nach ihrer Vorstellung das Gesamtvermögen in der Weise beim Tod des überlebenden Ehegatten getrennt sein soll, dass das Vermögen des Vorverstorbenen und das Eigenvermögen des Überlebenden als getrennte Vermögensmassen auf die Nacherben übergehen sollen. Indiz für eine von gemeinschaftlich testierten Eheleuten gewollte Trennungslösung kann sein, dass der wesentliche Teil des beiderseitigen Vermögens nur von einem Ehegatten stammt und dieser Wert darauf gelegt hat, dass die Substanz seines Vermögens unvermindert auf seine Verwandten oder Drittbenannte übergeht. Hier liegt der Fall so, dass das Wohngrundstück ohnehin im Alleineigentum des Erblassers stand und mit der Wiederverheiratungsklausel gesichert werden sollte, dass dieses auf die Abkömmlinge übergeht. Demnach ist von der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft auszugehen.

Stirbt der eingesetzte Nacherbe vor dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge, aber nach dem Eintritt des Erbfalls, so geht sein Recht auf seine Erben über, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist, § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB. Bei Anwendung der gesetzlichen Regelvorschrift des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB wäre das Nacherbenrecht somit auf die Erben des Sohnes des Erblassers, hier also die Beklagte übergegangen. Denn die Beklagte ist nach der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB durch die testamentarische Verfügung dessen Alleinerbin geworden, was auch keine der Parteien infrage stellt.

Hier ist aber ein auf den Ausschluss der Vererblichkeit gerichteter Wille der testierenden Ehegatten anzunehmen. Ob ein solcher Wille vorliegt, ist vorrangig durch unmittelbare, hilfsweise ergänzende Testamentsauslegung zu klären.

Das Testament aus dem Jahr 1974 enthält keine ausdrückliche Ersatznacherbeneinsetzung. Die Auslegung des Testaments ergibt hier aber, dass die Abkömmlinge der Nacherben von den testierenden konkludent als Ersatznacherben berufen wurden.

Bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen stehen Ihnen unsere auf das Erbrecht spezialisierten Anwälte kompetent zur Verfügung.