Diesel-Skandal - OLG München: Schadensersatzanspruch des Klägers begründet

Hintergrund:

Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die der Kläger gegen die Beklagten wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht. Der Kläger erwarb mit verbindlicher Bestellung vom 14.03.2017 zum Preis von 39.999,00 € von der Beklagten zu 1.) einen Gebrauchtwagen Audi A5 Sport Back 3,0 TDI, 160 kW, Erstzulassung: 09.09.2016, Schadstoffklasse: Euro 6, mit einem Kilometerstand von 8.999 km. Das Fahrzeug wurde am 17.03.2017 übergeben. Die Beklagte zu 2.) ist die Herstellerin des Wagens und des Motors. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betrug der Kilometerstand 71.613 km. Das Fahrzeug ist von einem verbindlichen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung „unzulässige Abschalteinrichtung“ betroffen. Beanstandet wurde nach den Angaben des Klägers unter anderem eine Aufheizstrategie, die nahezu ausschließlich unter Prüfbedingungen genutzt wird. Die Beklagte zu 2.) hat hierzu ein Software-Update entwickelt, das vom Kraftfahrtbundesamt geprüft und freigegeben wurde. Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.02.2019 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1.) die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und den Rücktritt. Mit Anwaltsschreiben vom 07.02.2019 forderte der Kläger die Beklagte zu 2.) wegen deliktischer Ansprüche zur Erstattung des Kaufpreises und Rücknahme des Fahrzeugs auf. Mit Schriftsatz vom 05.11.2019 erhob er Klage. Bezüglich der Beklagten zu 1.) verlangte er unter anderem Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer von der Beklagten zu 1.) darzulegenden Nutzungsentschädigung, ferner Feststellung der Schadensersatzpflicht und des Annahmeverzugs sowie Freistellung von vorgerichtlichen Kosten. Bezüglich der Beklagten zu 2.) beantragte er Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie Freistellung von vorgerichtlichen Kosten, mit Schriftsatz vom 02.03.2020 außerdem hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrags, die Beklagte zu 2.) zur Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen, an ihre Schadensersatzpflicht für weitere Schäden festzustellen.

LG München weist Klage ab

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, dass die Klage gegen die Beklagte zu 2.) (die Herstellerin des gegenständlichen Fahrzeugs) nur im Hilfsantrag zulässig, jedoch nicht begründet ist. Es bestehe ihr gegenüber kein Anspruch aus den §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, da sie in die Vertragsverhandlungen mit der Beklagten zu 1.) nicht eingebunden gewesen sei, auf diese keinen Einfluss genommen und auch kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgt habe. Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe ebenfalls nicht. Soweit der Kläger eine Aufheizstrategie behaupte, die die Prüfstandsituation erkenne, handele sich um Vortrag ins Blaue hinein. Der Vortrag zum sogenannten Thermofenster begründe keinen Schadensersatzanspruch. Der Kläger habe auch keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 1.). Der Kaufvertrag sei nicht nichtig, denn § 27 Abs. 1 EG FGV stelle schon kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB dar. Ein Anfechtungsrecht im Sinne des § 123 BGB habe dem Kläger nicht zugestanden, denn die Beklagte zu 1.) habe ihn nicht getäuscht, eine etwaige Täuschung durch die Beklagte zu 2.) sei ihm nicht zuzurechnen. Hinsichtlich etwaiger Mängelgewährleistungsansprüche greife die von der Beklagten zu 1.) erhobene Einrede der Verjährung durch, denn die Verkürzung der Gewährleistungsfrist auf ein Jahr sei wirksam vereinbart.

OLG München: Zulässige Berufung des Klägers teilweise begründet

Das LG hat die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1.) (den Händler) verneint. Eine Nichtigkeit nach § 134 BGB scheidet aus, da das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer gültigen EG-Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne der §§ 6, 27 EG-FGV versehen ist. Es ist nämlich insoweit von einem formellen Gültigkeitsbegriff auszugehen, sodass es allein darauf ankommt, ob die Bescheinigung durch den Hersteller unter Verwendung des vorgeschriebenen Formulars ausgestellt wurde, sie fälschungssicher und unvollständig ist. Daran besteht vorliegend kein Zweifel. Darüber hinaus ist § 27 EG-FGV auch kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB.

Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch die Beklagte zu 1.) hat das Landgericht ebenfalls zutreffend verneint, da unstreitig die Beklagte zu 1.) bei Abschluss des Kaufvertrages im März 2017 von der in dem Fahrzeug implementierten unzulässigen Abschalteinrichtung keine Kenntnis hatte. Eine Zurechnung des bei der Beklagten zu 2.) vorhandenen Wissens über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß § 166 Abs. 1 BGB scheidet aus, da sich die Beklagte zu 2.) als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs einerseits und die Beklagte zu 1.) andererseits als juristische selbstständige Personen gegenüberstehen. Auch eine Wissenszurechnung nach § 166 Abs. 2 BGB analog kann nicht angenommen werden.

Gewährleistungsansprüche sind verjährt, da die Verkürzung der Gewährleistungsfrist auf ein Jahr wirksam vereinbart wurde. Andere Anspruchsgrundlagen kämen nicht in Betracht. Ein Anspruch aus § 311 BGB scheidet hier wegen Vorrangs der Mängelhaftung aus. Die vom Kläger herangezogenen europarechtlichen Vorschriften haben keine drittschützende Wirkung.

Hinsichtlich der Beklagten zu 2.) (Herstellerin) hat die Berufung Erfolg, als dem Kläger der Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zuzusprechen ist.

Die Beklagte zu 2.) haftet auf Schadensersatz gemäß der §§ 826, 31 BGB. Sie hat den Kläger vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt mit der Inverkehrgabe eines Fahrzeugs mit einem von ihr hergestellten und entwickelten Motors, bei dem eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Aufheizstrategie in Verbindung mit weiteren Strategien zum Einsatz kam.

Die Entscheidung des OLG München, dass die Herstellerin nach den §§ 826, 31 BGB haftet, passt zu den bereits bestehenden obergerichtlichen Rechtsprechungen und steht in einer Reihe mit der Entscheidung des BGH vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19.

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