BGH - erfolgreiche Insolvenzanfechtung einer Provisionszahlung trotz betrügerischen Schneeballsystem

„Zahlt ein Schuldner vereinbarungsgemäß Maklerlohn für die Vermittlung von Verträgen, stellt die Zahlung der sich an der Höhe der in den Hauptverträgen vereinbarten Vergütung orientierenden Provision keine unentgeltliche Leistung dar, auch wenn die Hauptverträge zivilrechtlich anfechtbar sein oder die Kunden des Schuldners verlangen könnten, schadensersatzrechtlich so gestellt zu werden, als ob die Verträge nicht geschlossen worden sein, weil der Schuldner sie bei Abschluss der Verträge betrogen hat.“

(BGH, Urteil vom 10.6.2021- IX ZR 157/20).

Hintergrund

Der Kläger ist Verwalter in dem im Mai 2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. GmbH. Diese warb in den Jahren 2013 und 2014 bei einer Vielzahl von Kunden Geldmittel ein. Sie behauptete, ein sogenanntes „Affiliate“-Netzwerk zu betreiben, bei dem Händler und Dienstleister auf der einen Seite ihre Kauf- und Dienstleistungsangebote bewerben und die Affiliates auf der anderen Seite Werbeplatz für die Werbemittel der Händler und Dienstleister auf Ihren Internetseiten gegen ein Entgelt (Provisionen) zur Verfügung stellen konnten. Interessierten Kunden bot sie an, sich durch den Erwerb von Servicepaketen an dem Geschäftsmodell zu beteiligen und in Abhängigkeit von den erzielten Werbeeinnahmen Provisionen zu erhalten. Zusätzlich sollten Provisionen für die Vermittlung von Neukunden gezahlt werden. Tatsächlich erbrachte die Schuldnerin, wie von vornherein von ihr geplant, die versprochenen Leistungen nicht, sondern verwendete die eingeworfenen Geldbeträge teilweise, um Provisionen für vorgetäuschte Werbeeinnahmen und für die Vermittlung neuer Kunden auszuzahlen. Die Verantwortlichen wurden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und wegen Betrugs verurteilt. Auch der Beklagte erwarb im Vertrauen auf die Angaben der Schuldnerin zwei Servicepakete und vermittelte in der Folgezeit den Verkauf von Paketen an weitere Geschädigte. Er erhielt von der Schuldnerin in den Jahren 2013 und 2014 etwa € 12.000,00 für die Vermittlung von Neukunden ausbezahlt.

Der Kläger hat die Auszahlungen gemäß § 134 InsO angefochten und die Rückgewähr gemäß § 143 InsO gerichtlich geltend gemacht mit der Begründung, die Schuldnerin habe eine Geschäftstätigkeit nur vorgetäuscht und ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben. Das Landgericht wies die Klage ab, das OLG gab dem Kläger weitgehend Recht.

 

BGH: kein Rückgewähranspruch wegen Anfechtung einer unentgeltlichen Leistung

Die Karlsruher Richter sind der Auffassung, dass der Kläger keinen Rückgewähranspruch wegen Anfechtung einer unentgeltlichen Leistung hat, da die Auszahlungen an den Beklagten nicht unentgeltlich im Sinne von § 134 Abs. 1 InsO erfolgten. Denn die Auszahlungen i.H.v. € 12.000,00 erfolgten für die Vermittlung von Neukunden. Insoweit erfolgten die Provisionszahlungen der Schuldnerin nicht ohne Rechtsgrund, sondern dienten der Erfüllung einer Verpflichtung der Schuldnerin aus einem wirksamen entgeltlichen Vertrag. Der Beklagte hatte gegen die Schuldnerin diesbezüglich einen wirksamen Anspruch auf Zahlung der Provisionen aus § 652 Abs. 1 BGB. Der Beklagte und die Schuldnerin haben einen Maklervertrag gemäß der §§ 652 ff. BGB geschlossen, weil die Schuldnerin dem Beklagten für die Vermittlung eines Vertrags (Servicepaket) einen Maklerlohn (Provision) versprochen hat. Dieser Maklervertrag war nicht nach § 134 BGB oder § 138 BGB nichtig, sondern wirksam. Dies gilt insoweit auch für die vom Beklagten vermittelten Hauptverträge. Der Wirksamkeit dieser Verträge steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin die vermittelten Hauptverträge von vornherein nicht erfüllen, sondern die Geschäftspartner im Sinne von § 263 StGB betrügen und den Beklagten als vorsatzlos handelndes Werkzeug zur Vermittlung weiterer Geschädigter einsetzen wollte.

 

Keine Nichtigkeit gemäß § 138 BGB

Eine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 138 BGB wäre nur dann anzunehmen, wenn der gemeinsame Zweck der Vertragspartner darauf gerichtet gewesen wäre, ein sittenwidriges Geschäft zu betreiben. Dies war hier nicht der Fall. Der Beklagte und die Geschäftspartner wurden von der Schuldnerin darüber getäuscht, dass diese in den Hauptverträgen vereinbarten Tätigkeiten nicht entfalten und den Beklagten als vorsatzlos handelndes Werkzeug einsetzen wollte. Sittenwidrig waren somit allein die von vornherein beabsichtigte Untätigkeit der Schuldnerin und ihre Täuschungen, nicht aber die mit den gutgläubigen Vertragspartnern und dem gutgläubigen Beklagten vereinbarten Verträge.

 

Keine Nichtigkeit nach § 134 BGB

Die Verträge sind auch nicht nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig, da die Geschäftspartner von der Schuldnerin im Hinblick auf das von ihr installierte Schneeballsystem betrogen worden sind (§ 263 StGB). Richtet sich das gesetzliche Verbot – wie vorliegend – nur gegen eine Partei, kann regelmäßig angenommen werden, dass verbotswidrige Geschäft solle Wirkungen entfalten. Verletzt eine der Vertragsparteien durch den Abschluss eines Vertrages ein gesetzliches Verbot, ist der Vertrag in der Regel gültig. § 652 Abs. 1 BGB macht das Entstehen eines Provisionsanspruchs des Maklers vom Zustandekommen des Hauptvertrags abhängig. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die von dem Beklagten vermittelten Kunden aufgrund der Vermittlung die Servicepakete erworben und die vermittelten Verträge sind zustande gekommen. Diese waren, wie ausgeführt, weder nach § 134 noch nach § 138 BGB unwirksam.

Allerdings hätten die von der Beklagten vermittelten Geschäftspartner die Verträge mit der Schuldnerin wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB anfechten oder nach § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB verlangen können, so gestellt zu werden, als ob die Verträge nicht geschlossen worden wären, weil sie von der Schuldnerin über deren Bereitschaft, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, getäuscht worden sind. Die Anfechtbarkeit des Vertrags oder die Möglichkeit, vom Vertragspartner verlangen zu können so gestellt zu werden als wäre der Vertrag nicht geschlossen worden, lassen den Provisionsanspruch des Maklers aber noch nicht entfallen.

 

 

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