BGH- Entscheidung zum Insolvenzanfechtungsrecht: Anfechtungsrisiko bei Zahlungsvereinbarungen bleibt mit dem Urteil des BGH vom 07.05.2020 (IX ZR 18/19) bestehen.

„Bei der Vermutung, dass der andere Teil im Falle einer Zahlungsvereinbarung oder einer sonstigen Zahlungserleichterung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zur Zeit der angefochtenen Handlung nicht kannte, handelt es sich um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung.

 Zur Widerlegung der Vermutung kann sich der Insolvenzverwalter auf alle Umstände berufen, die über die Gewährung der Zahlungserleichterung und die darauf gerichtete Bitte des Schuldners hinausgehen.

 Die Vermutung kann auch durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die bereits vor Gewährung der Zahlungserleichterung bestanden und aus denen nach der gewährten Zahlungserleichterung wie schon zuvor zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu schließen war“ (BGH, Urteil vom 07.05.2020 – IX ZR 18/19).

Zum Fall

Der BGH hatte folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der später Insolvenzschuldner betrieb eine Gaststätte. Ihm wurde von einer Bank ein Darlehen gewährt. Hierzu zog die Bank die vereinbarten monatlichen Raten im Lastschriftverfahren beim Schuldner ein. Im Hinblick auf die Einzugsversuche der Monate April und Mai kam es zu Rücklastschriften. Von Juni bis August zog die Bank die fälligen Raten nicht ein. Im August kündigte die Bank das Darlehen und in der Folgezeit schloss die Bank mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung. Aufgrund dieser Vereinbarung zahlte der Schuldner von September bis November des gleichen Jahres Raten an die Bank. Nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners erfolgte die Insolvenzanfechtung dieser Ratenzahlungseingänge gegenüber der Bank durch den Insolvenzverwalter.

Die im Zuge dieses Urteiles relevante Fragestellung ist, ob die Bank, die mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen hatte, sich erfolgreich auf die gesetzliche Vermutung nach § 133 Abs. 3 S. 2 InsO berufen konnte und damit auf die Vermutung, dass sie die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte, mit der Folge, dass der Anfechtungsanspruch nach § 133 InsO ihr gegenüber nicht besteht.

 

Hintergrund

Oft befindet sich eine Partei in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und bittet daher den Vertragspartner um Zahlungserleichterungen, nicht selten um eine Ratenzahlung. Hiermit erklärt sich der Vertragspartner als Forderungsinhaber einverstanden. Der Ratenzahlungsplan wird vereinbart. Die monatlichen Beträge werden gezahlt und später gerät der Gläubiger in die Insolvenz.

Der Insolvenzverwalter macht in der Folge einen Anfechtungsanspruch nach § 133 InsO (sogenannte vorsätzliche Benachteiligung) auf Rückzahlung der geleisteten Raten geltend. Er begründet dies unter anderem damit, dass der Gläubiger aufgrund der damaligen Situation (z.B. über längere Zeit verspätete Zahlungen oder Rücklastschriften) über die Zahlungsunfähigkeit Kenntnis gehabt habe.

 

Einschränkung des Anfechtungsrechtes durch gesetzliche Änderungen im Jahr 2017

Um diesen Anfechtungsanspruch und damit das wirtschaftliche Risiko der Gläubiger zu reduzieren, gab es im Jahre 2017 eine Gesetzesänderung im Hinblick auf den Tatbestand der vorsätzlichen Benachteiligung in § 133 InsO. Unter anderem umfassten diese Änderungen folgende Aspekte:

– Zum einen wurde der Anfechtungszeitraum für Zahlungen, mit denen eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wurde (sogenannte kongruente Deckung) von 10 Jahren auf 4 Jahre reduziert (§ 133 Abs. 2 InsO);

– Und zum anderen wurde eine gesetzliche Vermutung in den Gesetzestext in § 133, Abs. 3 S. 2 InsO aufgenommen, die wie folgt lautet: „Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.

Über die Bedeutung und den Umfang dieser Vermutung gibt es unterschiedliche Ansichten und mit seinem Urteil vom 07.05.2020 (Az. IX R 18/19) hat der BGH hierzu seine Rechtsansicht und letztendlich damit die Richtschnur, nach der nunmehr zu entscheiden und zu handeln ist, mitgeteilt.

 

BGH: Widerlegliche Vermutung

Der BGH stellt zunächst fest, dass es sich bei der Regelung in § 133 Abs. 3 S. 2 InsO um eine widerlegliche gesetzliche Vermutung handelt. Damit ist es dem Insolvenzverwalter möglich, durch Vortrag entsprechender Kenntnis, die der Anfechtungsgegner und damit die Bank gehabt hätte, die gesetzlich Vermutung zu widerlegen.

 

Aspekte zum Widerlegen der Vermutungsfolge

Zu diesem möglichen Vortrag des klagenden Insolvenzverwalters, die Vermutungsfolge zu widerlegen, benennt der BGH in seinem Urteil folgende zu berücksichtigende Aspekte:

  • Die Vermutung nach § 133 Abs. 3 S. 2 InsO hat die Wirkung, dass sich der Verwalter weder auf die Gewährung der Zahlungserleichterung noch auf die darauf gerichtete Bitte des Schuldners stützen kann. Er darf die den Vermutungstatbestand bildenden Umstände daher nicht heranziehen, um die Vermutungsfolge zu widerlegen.
  • Als Vortrag, die Vermutungsfolge zu widerlegen und damit die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit auf Seiten des Gläubigers darzulegen, gibt es nach Ansicht des BGH keine zeitliche Begrenzung. So kommen dafür nicht nur Umstände in Betracht, die nach der Gewährung der Zahlungserleichterung aufgetreten sind. Auch mit Umständen aus der Zeit vor der Zahlungsvereinbarung kann der Beweis erbracht werden, dass der Gläubiger zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung (hier der Zahlung) Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte. Das Feld der Argumentation für den Insolvenzverwalter ist also weit.

 

Beleuchtung der Geschäftsverbindung

Damit kann der Insolvenzverwalter praktisch mit Ausnahme der Aspekte, dass es eine Ratenzahlungsvereinbarung gegeben hat und um diese auf Seiten des Schuldners gebeten wurde, sämtliche Geschehnisse aus der Geschäftsverbindung zwischen Insolvenzschuldner und seinem Vertragspartner, gegenüber dem die Anfechtung erklärt worden ist und der Zahlungen erhalten hat, heranziehen – um den Nachweis der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auf Seiten des Anfechtungsgegners zu erbringen.

Im vorliegenden Fall ist dies die Situation aus der Darlehensverbindung zwischen späterem Insolvenzschuldner und Bank, wonach es vier Rücklastschriften gegeben hat. Hierdurch wird die vorgenannte gesetzliche Vermutung widerlegt und damit angenommen, dass die beklagte Bank die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und damit ihres Vertragspartners kannte.


Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Des Weiteren muss die beklagte Bank als Anfechtungsgegnerin gewusst haben, dass die angefochtenen Handlungen (hier die Ratenzahlungen) die Gläubiger benachteiligen. Sonst besteht der Anfechtungsanspruch ihr gegenüber nicht.

Weiß ein Anfechtungsgegner von einer drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners, muss er grundsätzlich auch davon ausgehen, dass Zahlungen an ihn selbst andere Gläubiger benachteiligen. Hiervon ist auszugehen, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner nicht vollständig bedient werden. Mit Letzterem wiederum muss der Gläubiger rechnen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig ist. Dies bedeutet in der zwangsläufigen Konsequenz: Ein Gläubiger, der Kenntnis von der unternehmerischen Tätigkeit seines Vertragspartners hat, kennt damit zwangsläufig die Benachteiligung der anderen Gläubiger.


Risiko für Anfechtungsgegner

Die Folge des vorbenannten Urteils des BGH ist, dass die im Zuge der Gesetzesänderung im Jahre 2017 aufgenommene gesetzliche Vermutung (§ 133 Abs. 3 S. 2 InsO) ein nur sehr schwaches Argument zur Verteidigung und Hilfestellung für Gläubiger ist.

Meist wird nicht nur um Ratenzahlung gebeten. Es gibt immer auch eine Vorgeschichte, die mit einbezogen werden muss. Der Sachverhalt, der dem vorbenannten Urteil des BGH zugrunde liegt, zeigt hierfür ein Beispiel in Form von nicht eingelösten Lastschriften. Dies sind die Indizien, aufgrund derer eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auf Seiten des Vertragspartners angenommen werden kann. Hierauf wird sich der Insolvenzverwalter stützen und die gesetzliche Vermutung über die Nichtkenntnis der Zahlungsunfähigkeit widerlegen.

Wenn es diese Aspekte, aufgrund derer eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit durch den Vertragspartner angenommen werden kann, in einer Geschäftsverbindung gibt, bleiben Ratenzahlungsvereinbarungen einem Anfechtungsrisiko ausgesetzt.

 

Als Fachanwälte für Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter kennen wir beide Seiten der Insolvenzanfechtung und stehen Ihnen bei Fragen rund um das Thema Insolvenzanfechtung kompetent zur Verfügung.