Arbeitsrecht - LAG Niedersachsen zum Beweiswert einer Krankschreibung - Krankmeldungen nach Kündigung sind für sich genommen noch nicht verdächtig
Nur weil ein Arbeitnehmer sich am Tag einer Kündigung krankgemeldet hat, ist der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht erschüttert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Arbeitnehmer am Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses in anderer Position wieder tätig wurde. Das hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in einem jetzt bekannt gewordenen Fall entschieden (Urteil vom 08.03.2023 – 8 Sa 859/22).
In dem zu entscheidenden Fall hat der klagende Mann bei einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet und war einige Wochen nicht eingesetzt worden. Er hatte sich später mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krankgemeldet. Einen Tag später ging ihm die Kündigung zum Monatsende zu. In der Folge legte der beklagte Arbeitnehmer zwei weitere ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die ihn exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses als krankgeschrieben auswiesen. Der beklagte Arbeitgeber hatte Zweifel an der Echtheit der Erkrankung und verweigerte die Lohnfortzahlung.
Zu Unrecht entschied das LAG. Einer ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Auf die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21) zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. dessen Erschütterung könne sich der beklagte Arbeitgeber in diesem Fall nicht berufen. Der fünfte Senat des BAG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Beweiswert einer AU insbesondere dann erschüttert sein kann, wenn ein Arbeitnehmer am Tag der eigenen Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (sogenannte zeitliche Koinzidenz).
Das LAG bewertete die Situation in wesentlichen Punkten anders. So sei die Krankschreibung des klagenden Mannes der Kündigung durch den beklagten Arbeitgeber zeitlich vorausgegangen. Der Arbeitnehmer könne also nicht durch die Kündigung zur Krankmeldung motiviert worden sein, so das LAG. Außerdem habe es insgesamt drei Bescheinigungen über die auch dargelegten Erkrankungen gegeben und nicht eine einzige, die exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses datierte. Entsprechend würde auch der Umstand, dass der klagende Mann gerade einen Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses wieder arbeitsfähig war und woanders zu arbeiten begonnen hat, aus Sicht der Richter für eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht aus. Die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache wurde zugelassen. Denn das BAG hatte in seiner Rechtsprechung noch nicht hinlänglich geklärt, unter welchen Umständen konkret der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wird. Womöglich spielt es doch eine Rolle, dass der Mann passend zu Beginn der neuen Tätigkeit offenbar wieder genesen war. Es bleibe daher abzuwarten, ob das BAG seine Rechtsprechung entsprechend schärft, so das LAG.
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