Arbeitsrecht - Grundsatzurteil des BAG - Urlaub verjährt nicht

Urlaub verjährt erst dann, wenn der Arbeitnehmer vorher auf seinen Urlaubsanspruch hingewiesen wurde. Unionsrecht geht nationalem Recht vor. Mit seinem weitreichenden Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 266/20) setzt das BAG zwingende Vorgaben des EuGH um.

Danach verjährt Urlaub nur, wenn Unternehmen vorher ihre Beschäftigten darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der bei fehlender Inanspruchnahme verfällt. Fehlt es hieran, können auch noch Ansprüche aus früheren Jahren geltend gemacht werden, auf die regelmäßige dreijährige Verjährung nach nationalem Recht (§§ 195, 199 BGB) dürfen sich die Arbeitgeber in diesen Fällen nicht berufen. Hiermit setzt das BAG zwingende Vorgaben des europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21) um, die dieser dem BAG als Antwort auf den bundesarbeitsgerichtlichen Vorlagebeschluss vom 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 aufgegeben hatte.

Hintergrund

Ausgangspunkt dieser Entscheidung war ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Solingen (Urteil vom 19.02.2019, AZ: 3 Ca 155/18). Die dort klagende Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin war in einer Kanzlei von November 1996 bis Ende Juli 2017 beschäftigt. Aufgrund erhöhten Arbeitsaufwandes, konnte sie ihren Urlaub nie vollständig in Anspruch nehmen. Als die Arbeitnehmerin dann aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, machte sie die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren geltend.

Das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht wies die Klage auf Abgeltung bis auf die Urlaubstage des Jahres 2017 ab. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 21.02.2020 – 10 SA 180/19) gab der Klägerin recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Abgeltung des geltend gemachten Urlaubs, sowohl für das Jahr 2017 als auch für die Vorjahre, hinsichtlich der Arbeitgeber sich auf die Einrede der Verjährung berufen hatte. Die Kammer des LAG sprach der Steuerfachangestellten damit eine Summe von 17.376,64 € brutto Urlaubsabgeltung für die Jahre 2013 bis 2016 zu. Der Arbeitgeber rief das BAG zur höchstrichterlichen Klärung an.

Hinweispflicht des Arbeitgebers

Streitpunkt war insbesondere die rechtliche Frage, wie lange Urlaubsansprüche bestehen und sozusagen haltbar sind. Nach dem nationalen Bundesurlaubsgesetz würde Urlaub, der im aktuellen Kalenderjahr nicht genommen wurde, mit dem Ende des Kalenderjahres, spätestens aber zum 31. März des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 BurlG) verfallen. Noch bestehender Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht beansprucht werden konnte, ist auszuzahlen (§ 7 Abs. 4 BUrlG).

Das deutsche Urlaubsrecht ist mittlerweile aber maßgeblich durch die Rechtsprechung sowie die Richtlinien und Verordnungen des europäischen Rechts geprägt. Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub ist dort in Art. 31 Abs. 2 der Grundrechte Charter verbürgt. Weitere Regelungen enthalten Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/IG sowie den zahlreichen Entscheidungen zu dessen Auslegung durch den EuGH. Urlaubsrechtliche Fragen können damit nicht allein nach nationalem Recht, sondern nur zusammen mit den unionsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden.

Eine für die aktuelle entscheidungsrelevante Entscheidung hatte der EuGH bereits im Jahr 2018 (Urteil vom 06.11.2018 – C-684/16) getroffen und festgestellt, dass Urlaub nur verfallen könne, wenn der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Umgesetzt wurde diese Entscheidung im Folgejahr vom BAG, welches eine arbeitgeberseitige Hinweis- und Aufklärungspflicht als Obliegenheit des Arbeitgebers schuf. Nur wenn der Arbeitgeber diese erfülle, könne Urlaub nach den Vorgaben des Bundesurlaubsgesetzes verfallen.

Verjährung bei fehlendem Hinweis

Da der Arbeitgeber im vorliegenden Fall die Hinweispflicht nicht erfüllt hatte, schied ein Verfall des Urlaubs aus. Das vom Arbeitgeber vorgebrachte Argument, das zum damaligen Zeitpunkt die Hinweis- und Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nicht gerichtlich festgestellt war, ließen weder EuGH noch BAG gelten. Der Arbeitgeber berief sich aber zusätzlich auf die Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Nach deutschem Recht verjährt ein Anspruch grundsätzlich nach drei Jahren (§ 195 BGB). Diese regelmäßige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Schuldner Kenntnis von den tatsächlichen Umständen hat (§ 199 Abs. 1 BGB). Eine Rechtsfolgenkenntnis ist nicht notwendig. Ob dies nun auch im Urlaubsrecht gilt, wollte das BAG mit seiner Vorlage vom EuGH wissen. Es berief sich insbesondere auf das Argument der Rechtssicherheit. Dieses muss auch dann gelten, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Unterrichtsobliegenheiten nicht nachgekommen sei.

EuGH erteilt insoweit Absage

Der EuGH erteilte dem BAG insoweit eine Absage. Es sei zwar richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden.

Allerdings sei dieses Interesse nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen. Dadurch habe er sich selbst in eine Situation gebracht, in der mit solchen Anträgen konfrontiert werde und überdies zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte. Daher stehe das nationale Verjährungsrecht Deutschlands den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn es zum Urlaubsverfall beim nicht aufgeklärten Arbeitnehmer führe.

BAG: Urlaub verjährt nicht

In der Pressemitteilung des BAG vom 20.12.2022 lautet es zwar, dass der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub der gesetzlichen dreijährigen Verjährung unterliege, wobei die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das BAG setze damit die Vorgaben des EuGH um. Und nach diesem trete der Zweck der Verjährungsvorschriften, nämlich die Schaffung von Rechtssicherheit, jedenfalls im vorliegenden Fall hinter dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers zurück.

Dieses Grundsatzurteil zeigt erneut, wie stark das Urlaubsrecht mittlerweile durch das Unionsrechts geprägt ist. Insbesondere wird es interessant sein, ob auch ehemalige Beschäftigte, die vor Anerkennung der Hinweispflichten aus einem Unternehmen ausgeschieden sind und nunmehr die Abgeltung ältere Urlaubsansprüche verlangen, dies vor den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten erfolgreich geltend machen können. Auch arbeits- und tarifvertragliche Ausschlussfristen sind in diesem Zusammenhang zu diskutieren.

In unserer auf das Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei stehen wir Ihnen bei sämtlichen Fragen zum Urlaubsrecht sowie den neuen arbeitgeberrechtlichen Hinweispflichten vor dem Hintergrund des Grundsatzurteils des BAG gerne zur Verfügung.