Arbeitsrecht - fristlose Kündigung wegen Äußerungen in privater Chat-Gruppe - berechtigte Vertraulichkeitserwartung

„Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in einer aus sieben Teilnehmern bestehenden privaten Chat-Gruppe bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Beteiligten an Dritte weitergegeben.“

BAG, Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 17/23.

Hintergrund

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum August bis Dezember 2021 sowie die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses. Der Kläger arbeitete seit 1999 bei der Beklagten, die etwa 2100 Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt in seiner Position als Gruppenleiter Lagerlogistik. Der Kläger war seit 2014 mit fünf anderen Arbeitnehmern der Beklagten Mitglied einer Chat-Gruppe des Messengerdienstes WhatsApp. Von November 2020 bis Januar 2021 gehörte der Gruppe ein ehemaliger Arbeitskollege an. Die Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen des Erstgerichts langjährig befreundet, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger in einigen seiner Chat-Beiträge, wie auch verschiedene andere Gruppenmitglieder, in beleidigender, fremdenfeindlicher, sexistischer und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte sowie Kollegen und rief teilweise zu Gewalt gegen diese auf.

Das vorübergehend der Chat-Gruppe angehörende Mitglied zeigte im Rahmen eines Gesprächs über einen Arbeitsplatzkonflikt einem Mitarbeiter der Beklagten den Chat-Verlauf auf seinem Smartphone, der davon eine Kopie an sich weiterleitete. Von dem Chat-Verlauf erlangten in der Folgezeit der Betriebsratsvorsitzende sowie die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Beklagten Kenntnis. Im Juli 2021 teilte der betriebsratsvorsitzende Personalleiter der Beklagten während dessen Urlaubsabwesenheit telefonisch das Bestehen der Chat-Gruppe mit und berichtet über den Inhalt des ihm bekannten Chat-Verlaufs.

Im Nachgang zu diesem Gespräch übersandte er dem Personalleiter ein 316-seitiges Word-Dokument mit dem Inhalt des Chat-Verlaufs für die Zeit vom November 2020 bis Januar 2021. In einem unter dem 08.07.2021 verfassten Schriftstück bestätigte das ausgeschiedene Chat-Gruppenmitglied die inhaltliche Richtigkeit des Chat-Verlaufs. Diese Erklärung wurde anschließend einem Personalleiter weitergeleitet. In der Folgezeit hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 22.07.2021 zum Inhalt des Chat-Verlaufs an. Die Beklagte kündigte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

BAG: außerordentliche Kündigung wirksam

Hiergegen hat sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage gewandt. Er meint, der Inhalt des Chat-Verlaufs habe von der Beklagten nicht verwendet werden dürfen und dürfe auch nicht im Rechtsstreit verwertet werden, da es sich um einen rein privaten Austausch gehandelt habe. Das BAG urteilt, dass grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, eine erhebliche Pflichtverletzung darstellen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können. Allein der Umstand, dass Äußerungen in einer privaten Chat-Gruppe erfolgt sind, führt nicht dazu, ihnen von vornherein eine Vertragspflichtwidrigkeit abzusprechen, wenn sie auf Vorgesetzte und Kollegen und damit auf betriebliche Umstände bezogen sind.

Bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte besteht in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht. Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist dabei nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnliche enge – auch rein freundschaftliche – Vertrauensverhältnisse. Entscheidend für den grundrechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung ist allerdings, dass ein Verhältnis zwischen den an der Kommunikation beteiligten Personen besteht, dass in dem Verhältnis vergleichbar ist, wie es in der Regel zum nahestehenden Familienangehörigen besteht.

Bei der rechtlichen Würdigung von diffamierenden oder ehrverletzenden Äußerungen über Vorgesetzte und / oder Kollegen sind die Umstände zu berücksichtigen, unter denen sie gefallen sind. Geschah dies in einem vertraulichen Austausch und Arbeitskollegen, vermögen sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass seine Kollegen die Äußerungen für sich behalten würden. Es bedarf daher einer besonderen Darlegung des Arbeitnehmers, warum dieser angesichts der Größe und Zusammensetzung des beteiligten Personenkreises berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Beteiligten an Dritte weitergegeben

Bei dem Erhalt einer fristlosen Kündigung ist eine schnelle Reaktion erforderlich. Unsere auf das Arbeitsrecht spezialisierten Anwälte stehen Ihnen bei der kurzfristigen Erhebung einer notwendigen Kündigungsschutzklage gerne kompetent zur Verfügung.