Familienrecht - Keine verfestigte Lebensgemeinschaft vor Ablauf von drei Jahren bei Anfeindungen durch den Unterhaltspflichtigen

Der Annahme einer verwirkungsbegründenden verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB vor Ablauf einer Beziehungsdauer von drei Jahren kann entgegenstehen, dass die Unterhaltsberechtigte und ihr Partner erheblichen Anfeindungen des Unterhaltsverpflichteten ausgesetzt sind, die die Beziehung belasten und zu einer zunächst distanzierten Beziehungsaufnahme geführt haben.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.12.2021 – 3 UF 36/21

Hintergrund

Die Beteiligten haben am 28.09.2009 geheiratet. Aus ihrer Ehe sind die beiden Töchter J und M hervorgegangen. Im Februar 2019 zog die Antragstellerin mit den Kindern aus dem ehelichen Einfamilienhaus aus. Seither leben die Beteiligten getrennt. Die eheliche Immobilie bewohnt nunmehr allein der Antragsgegner. Das Scheidungsverfahren ist seit dem 25.02.2020 rechtshängig.

Die Antragstellerin hat den Antragsgegner Trennungsunterhalt ab Dezember 2019 sowie auf Kindesunterhalt für beide Kinder in Anspruch genommen. Dem ist der Antragsgegner insgesamt entgegengetreten und hat geltend gemacht, dass ein Anspruch auf Trennungsunterhalt der Antragstellerin nicht zustehe. Jedenfalls seien Trennungsunterhaltsansprüche verwirkt. Die Antragstellerin verunglimpfe ihn und habe Strafanzeigen gegen ihn erstattet. Ein Strafverfahren hätte Auswirkungen auf sein Arbeitsverhältnis. Auch beschimpfte sie ihn gegenüber Dritten und behauptete unwahre Tatsachen über ihn. Damit verletze sie erheblich die eheliche Solidarität.

Amtsgericht Kleve bestätigt Trennungsunterhalt

Das Amtsgericht Kleve hat den Antragsgegner mit dem angefochtenen Beschluss vom 22.02.2021 verpflichtet, an die Antragstellerin Trennungsunterhalt für Januar 2020 in Höhe von 1.564,00 € und für die Zeit ab Februar 2020 in Höhe von monatlich 1.687,00 € sowie Kindesunterhalt zu bezahlen. Der Anspruch auf Trennungsunterhalt sei nicht verwirkt. Aus den zwischen den Beteiligten geführten Verfahren sei bekannt, dass der Antragsgegner die Antragstellerin und ihren Lebensgefährten, den Zeugen T, mit massiven beleidigenden und belästigenden Nachrichten überziehe, weshalb es ihr freisteht, Strafanzeige zu erstatten. Die eheliche Solidarität gebietet es nicht, sich beleidigen zu lassen, um nicht Unterhaltsansprüche zu verlieren.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen das über den Mindestunterhalt für beide Töchter hinausgehende Unterhaltsbegehren. Im Rahmen des Verwirkungseinwandes sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin seit April 2019 mit dem Zeugen T zusammenlebe und mit diesem als Paar auftrete.

OLG Düsseldorf bestätigt Ansprüche teilweise

Nach Ansicht des OLG Düsseldorf sind die Ansprüche der Antragstellerin auf Trennungsunterhalt aus § 1361 Abs. 1 BGB und auf Kindesunterhalt für die beiden Kinder J und M aus den §§ 1601, 1629 Abs. 3 S. 1 BGB gegeben.

Dem Anspruch auf Trennungsunterhalt steht nicht der Einwand der Verwirkung gemäß der §§ 1361 Abs. 3, 1579 BGB entgegen. Die seitens der Antragstellerin gegen den Antragsgegner erstatteten Strafanzeigen und die vorgetragenen Verunglimpfungen begründen keinen Verwirkungstatbestand, insbesondere kein schwerwiegendes vorsätzliches Vergehen im Sinne des § 15979 Nr. 3 BGB und kein offensichtlich schwerwiegendes Fehlverhalten im Sinne des § 1579 Nr. 7 BGB. Dass sich die Antragstellerin gegen die Nachstellungen des Antragsgegners auch mit strafrechtlichen Mitteln zur Wehr setzt, unterliegt als Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht im Verdikt des verwirkungsbegründeten Fehlverhaltens. Dass sich die Antragstellerin gegenüber Dritten negativ über den Antragsgegner äußert und ihm gegenüber Vorwürfe erhebt, ist angesichts der offensichtlichen Konfliktfähigkeit des Verhältnisses der Beteiligten ebenfalls nicht als verwirkungsrelevanter Verstoß gegen die eheliche Solidarität oder gar gegen Straftatbestände zu werten.

Auch der Verwirkungstatbestand der verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB lässt sich nicht feststellen.

Eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB kann nach der Rechtsprechung des BGH angenommen werden, wenn das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit über die Dauer der Verbindung den Schluss nahelegen, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte sich endgültig aus der ehelichen Solidarität herausgelöst hat. Dabei geht es nicht um die Sanktionierung eines vorwerfbaren Fehlverhaltens des Unterhaltsberechtigten, sondern um die angemessene Erfassung objektiver Gegebenheiten bzw. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des bedürftigen Ehegatten, die eine dauerhafte Unterhaltsleistung unzumutbar erscheinen lassen.

Danach ist derzeit noch nicht von einer verfestigten Lebensgemeinschaft der Antragstellerin mit dem Zeugen T auszugehen. Zwar wird eine Lebensgemeinschaft der beiden auf der Grundlage der Erklärungen der Antragstellerin im Senatstermin vom 19.11.2021 für die Zeit ab Juli 2019 anzunehmen sein. Auch übernachtet der Zeuge T bei der Antragstellerin 5 bis 6 mal in der Woche und verfügt über einen Schlüssel zum Haus der Antragstellerin.

Allerdings hat die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass die Antragstellerin und der Zeuge T ein gemeinsames Bauprojekt in Angriff genommen hätten. Aus diesem Aspekt könne also keine Verfestigung der Beziehung abgeleitet werden.

In zeitlicher Hinsicht kann hier nach den konkreten Einzelfallumständen eine Verfestigung frühestens nach Ablauf der vom BGH genannten Höchstrahmensdauer von drei Jahren, mithin nicht vor Juli 2022, angenommen werden. Die Beziehung der Antragstellerin und des Zeugen T ist nämlich dadurch in besonderer Weise geprägt, dass sie erheblichen Anfeindungen seitens des Antragsgegners ausgesetzt ist. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin häufig gedroht, so habe er beispielsweise bekundet, dass er vorbeikommen würde und die Beziehung der Antragstellerin zum Zeugen T abartig und krank sei und der Zeuge T dies irgendwann bereuen würde. Diese massiven, das hinnehmbare Maß provokanter Äußerungen in Trennungskonflikten deutlich übersteigenden Anfeindungen haben die Bereitschaft der Antragstellerin und des Zeugen, eine feste Beziehung einzugehen, auf eine harte Probe gestellt und beide zu einer zunächst distanzierten Beziehungsaufnahme bewogen. Angesichts dieser Belastungen für die Beziehung kann hier von einer hinreichenden Verfestigung, die eine dauerhafte Verbindung erwarten lässt, nicht vor Ablauf von drei Jahren ausgegangen werden.

Die Entscheidung zeigt deutlich, dass sowohl unterhaltsverpflichtete als auch unterhaltsberechtigte Personen übergriffiges Verhalten bzw. Verschmähungen oder Beleidigungen unter Kontrolle halten sollten. Konsequenzen eines übergriffigen Verhaltens können sodann der Ausschluss der verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB sein, mit der Konsequenz, dass der Unterhaltsverpflichtete Trennungsunterhalt leisten muss.

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