BGH- Schmerzensgeld berechnet man nicht taggenau
Der BGH hat bei der Berechnung von Schmerzensgeld etwa nach Verkehrsunfällen für Klarheit gesorgt. Die von einigen Oberlandesgerichten angewendete, taggenaue Berechnung wird dem Einzelfall nicht gerecht.
BGH, Urteil vom 15.02.2022 – VI ZR 937/20
Im Fokus stand ein tragischer Verkehrsunfall, bei dem sich ein Autofahrer so schwer verletzte, dass unter anderem sein rechter Unterschenkel amputiert werden musste. In der Folgezeit verbrachte der Mann über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt 500 Tage im Krankenhaus. Einer Arbeit kann er nur im sehr bedingten Rahmen nachgehen.
Schmerzensgeld, z.B. nach einem Verkehrsunfall, darf dem Urteil des BGH zufolge nicht nach einem festen Schema berechnet werden. Vielmehr sei eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. Dabei sei in erster Linie das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Hiermit erteilten die Karlsruher Richter einer vor einigen Jahren aufgebrachten Berechnungsmethode eine Absage, der sich insbesondere das OLG Frankfurt angeschlossen hatte. Bisher war nicht ganz klar, ob diese angewandt werden kann oder nicht.
In dem vom BGH zu entscheidenden Rechtsstreit ging es darum, wie hoch das Schmerzensgeld auszufallen hat, das der Unfallverursacher dem Geschädigten zahlen soll. Das OLG Frankfurt am Main wendete im Berufungsverfahren die sogenannte taggenaue Berechnung an und ermittelte damit einen Betrag von insgesamt 200.000,00 €. Bei dieser Methode gibt es 3 Rechenschritte. Auf einer ersten Stufe werden zunächst einfach Tagessätze zusammengerechnet, die nach Behandlungsphase gestaffelt sind. Hier wurden etwa 150,00 € für einen Tag auf der Intensivstation und 60,00 € für einen Tag in der Rehaklinik angesetzt. Als Basis dient ein durchschnittliches Einkommen und die unterschiedlich starke Lebensbeeinträchtigung während der einzelnen Behandlungsphasen. In Stufe 2 gibt es dann von der taggenau errechneten Summe individuelle Zu- oder Abschläge. Der Geschädigte beispielsweise sollte wegen erheblicher Vorerkrankungen weniger Geld bekommen. In der dritten Stufe kann die Summe unter anderem wegen Dauerschäden noch erhöht werden.
Diese taggenaue Berechnung werde dem Einzelfall nicht gerecht, entschied der BGH und nutzte die Entscheidung, um zu verdeutlichen, welche Kriterien für die Höhe des Schmerzensgeldes heranzuziehen sind. Zu berücksichtigen sind danach die Schwere der Verletzungen, dass durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung oder Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. In erster Linie seien jedoch die entstandenen Lebensbeeinträchtigungen zu bedenken.
Entscheidend ist, dass hier nicht eine isolierte Betrachtung einzelner Faktoren vorgenommen wird, sondern eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls.
Dabei sei eine einheitliche Entschädigung für das Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lasse. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lasse wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht, heißt es in dem Urteil des BGH.
Die Karlsruher Richter vermissten bei so einer Berechnungsweise nicht nur das konkrete Verletzungsbild, dessen Behandlung und das individuelle Leiden des Unfallopfers, sondern auch die eingeschränkte, zukünftige Lebensführung. Auch ein zugrunde gelegtes, durchschnittliches Einkommen werde einer individuellen Betrachtung nicht gerecht.
Die Karlsruher Richter haben die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben, welches nun erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes befinden muss.