Insolvenzrecht – Neues zur Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 S. 1 GmbHG a.F.

Das OLG Schleswig-Holstein hatte zur Frage der Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 S. 1 GmbHG nach Insolvenz, wenn eine Überschuldung eines Unternehmens zunächst durch eine Verlustdeckungszusage des Mutterkonzerns ausgeschlossen war, zu entscheiden.

Hintergrund

In dem vom OLG Schleswig-Holstein zu entscheidenden Fall nahm der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft A. den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung wegen Zahlungen nach Insolvenzreife in  Anspruch. Erstinstanzlich hat der Kläger den Beklagten auf Zahlung von insgesamt ca. 720.000,00 € in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger nun nur noch Ersatzansprüche i.H.v. ca. 100.000,00 € wegen Zahlungen der Schuldnerin im Zeitraum von Oktober bis Mai 2010 weiter. Der Beklagte war Geschäftsführer der Schuldnerin, die auf ihrem im Eigentum der BRD stehenden von der Gesellschaft C. angemieteten Geschäftsgrundstück einen Handel mit Paraffin betrieb. Die Schuldnerin war Teil eines Konzerns, der neben ihr aus der Muttergesellschaft A. und der Schwestergesellschaft A., beide mit Sitz in der Schweiz, bestand. Die A. Holding AG war alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin und der A. Chemicals AG. Der Beklagte war Präsident des Verwaltungsrates sowohl der A. Chemicals AG als auch der A. Holding AG. In der Nacht vom 11.06.2009 auf den 12.06.2009 zerstörte ein Großbrand den gesamten Betrieb der Schuldnerin, wobei auch die Kaianlagen der BRD beschädigt wurden. Die Schuldnerin unterhielt bei der D Versicherung AG unter anderem eine Betriebshaftpflichtversicherung mit einer Höchstdeckungssumme von 2.500.000,00 €. Die Versicherung lehnte mit Schreiben vom November 2009 die Erteilung einer Deckungszusage ab, da seit Juni 2006 als Risiko lediglich die Abwicklung des Handels mit Paraffin zur Kerzenproduktion versichert sei, sich bei dem Brand jedoch das Risiko eines Produktions- oder Veredelungsbetriebs und nicht eines Handelsbetriebs verwirklicht habe. Die Schuldnerin nahm nach dem Brand ihren Betrieb nicht wieder auf.

 

Auf Antrag des Beklagten vom August 2010 wurde im November 2010 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Juli 2010 war in der Schweiz das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. Chemicals AG eröffnet worden, am 01.09.2010 erfolgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A. Holding AG. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin meldeten die BRD und die Firma C. jeweils wegen des Brandschadens Forderungen i.H.v. ca. 5.100.000,00 € an, wobei die BRD dieselbe Forderung auch gegenüber C. geltend machte und sie ihre Forderung als Regressforderung für den Fall ihrer Inanspruchnahme durch die BRD anmeldete. Durch Vereinbarung vom Dezember 2017 einigten sich der Kläger, die BRD, die Haftpflichtversicherung, die Firma C. und deren Haftpflichtversicherung dahin, dass die Haftpflichtversicherung der Firma C und die D Versicherung zur Abgeltung der brandbedingten Schäden jeweils 1.000.000,00 € an die BRD zahlen sollte. Der Kläger behauptet, die Schuldnerin sei bereits im Jahr 2008, spätestens aber seit dem Brandereignis vom Juni 2009 überschuldet gewesen. Der Beklagte behauptet, die BRD und die Firma C. hätten bis zur Stellung des Insolvenzantrags keine konkreten Forderungen wegen der Brandschäden an die Schuldnerin herangetragen.

 

Im Übrigen sei das Risiko durch die Versicherung der Firma C. abgedeckt gewesen. Etwaige Schadensersatzansprüche der BRD werden zudem durch die Haftpflichtversicherung der Schuldnerin bei der D Versicherung gedeckt gewesen, die ihre Deckungspflicht mit unzutreffender Begründung verneint habe. Der durch den Brand bedingte Schaden der BRD sei zumindest nicht höher gewesen als die Deckungssumme der Haftpflichtversicherung der Schuldnerin. Unter diesen Umständen seien Rückstellungen nicht veranlasst gewesen. Es sei zunächst geplant gewesen, den Betrieb der Schuldnerin wiederaufzunehmen. Erst im August 2010 habe die A. Holding AG entschieden die Produktion nicht wieder aufzunehmen. Die streitgegenständlichen Zahlungen seien mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannserfolg.

 

LG Schleswig-Holstein: Klageabweisung

Das Landgericht hat die auf Zahlung von insgesamt ca. 720.000,00 € gerichtete Klage abgewiesen, da der Kläger weder die Überschuldung noch eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zur Überzeugung des Gerichts habe darlegen und beweisen können. Insbesondere sei das Indiz der rechnerischen Überschuldung aufgrund der Fehlbeträge in den Jahren 2008 und 2009 durch die konzerninterne Verlustdeckungszusage der A. Holding AG gegenüber der Schuldnerin widerlegt, von deren Vorliegen das Gericht überzeugt sei. Auch das Brandereignis habe nicht zu einer Überschuldung der Schuldnerin geführt, da nicht feststellbar sei, dass der BRD durch den Brand tatsächliche Schäden von über 2.500.000,00 € entstanden wären und die Schäden bis zu dieser Höhe von der Versicherung der Schuldnerin gedeckt gewesen seien. Aus diesem Grund habe die Schuldnerin auch keine Rückstellungen wegen des Brandereignisses vornehmen müssen.

 

OLG Schleswig: keine Ersatzansprüche aus Geschäftsführerhaftung nach § 64 S. 1 GmbHG

Das OLG Schleswig-Holstein entschied, dass das Landgericht geltend gemachte Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung zu Recht zurückgewiesen hat. Dem Kläger stehen als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin keine Ersatzansprüche gegen den Beklagten aus Geschäftsführerhaftung nach § 64 S. 1 GmbHG zu. Eine Ersatzpflicht des Beklagten für von ihm veranlasste Zahlungen kommt demnach nur in Betracht, wenn diese nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden, ohne dass die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbart wären. Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen wurden vom Landgericht zu Recht verneint. Ein Anspruch nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. ist auch nicht wegen einer Überschuldung der Schuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen zu bejahen. Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung vor, wenn das Vermögen der GmbH nicht mehr die bestehenden Verbindlichkeiten deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Der maßgebliche modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff beinhaltet ein bilanzielles und ein prognostisches Element. Dabei sind nicht die fortgeschriebenen Wertansätze der Jahresbilanz als entscheidend zugrunde zu legen, sondern eine Überschuldungsbilanz hat nach eigenen, auf den Zweck der Insolvenzeröffnung zugeschnittenen Bewertungsgrundsätzen den wahren Wert des Unternehmens zu ermitteln. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Überschuldung trägt der Insolvenzverwalter. Dieser genügt er zunächst, wenn er eine rechnerische Überschuldung der Gesellschaft substantiiert behauptet. Legt der Insolvenzverwalter für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind. Außerdem ergibt sich aus den Kontoauszügen auch eine finanzielle Verstrickung der Unternehmen. Nach den Angaben des Beklagten war die Schuldnerin lediglich ein Dienstleistungsunternehmen, das für die Mutter- und Schwesterfirma tätig wurde und daher von diesen durch Stellung von Produktions- und Finanzmitteln am Leben gehalten wurde. Liquiditätsengpässe der Schuldnerin wurden stets von dem Schwesterkonzern ausgeglichen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Zahlungen durch die A. Chemicals AG auf Anweisung der A. Holding AG erfolgt sind.

Die vom Beklagten damit substantiiert dargelegte Verlustdeckungszusage bzw. Patronatserklärung zwischen Mutter- und Tochterunternehmen führt dazu, dass nicht von einer Überschuldung der Schuldnerin auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.9.2010 – II ZR 296/08).

Eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ist auch nicht durch das Brandereignis eingetreten. Dies wäre der Fall, wenn die Schuldnerin Schadensersatzforderungen in konkreter Höhe sicher erwarten musste und sicher zu erwarten war, dass sie diese nicht würde begleichen können, bzw. wenn sie aufgrund einer konkreten Forderung hätte Rücklagen bilden müssen. Die Forderung i.H.v. 5.100.000,00 € wurde bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gegenüber der Schuldnerin geltend gemacht, sodass ihre Inanspruchnahme nicht hinreichend konkret war. Darüber hinaus ist schon eine Haftung der Schuldnerin fraglich, da ihr Verschulden am Brandereignis nicht festgestellt wurde, da sie das Gelände von C. angemietet und gegenüber dieser ausweichlich des Mietvertrags nur die Versicherung der Lagerbestände übernommen hatte. Schließlich dürfte die Schuldnerin davon ausgehen, dass im Falle ihrer Haftung die Versicherung zahlen werde. Der Beklagte durfte zudem davon ausgehen, dass im Falle der erfolgreichen Inanspruchnahme die maximale Deckungssumme der Versicherung von 2.500.000,00 € zur Begleichung etwaiger Schadensersatzforderungen ausreichen würde. Das OLG wies daher die Geschäftsansprüche aus Geschäftsführerhaftung nach § 64 S. 1 GmbHG folgerichtig ab.

 

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