EuGH zum Dieselskandal- Abschalteinrichtungen sind illegal

„Ein Hersteller darf keine Abschalteinrichtungen einbauen, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen. Die Tatsache, dass eine solche Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, kann ihr Vorhandensein nicht rechtfertigen.“ (Rechtssache C-693/18, Entscheidung vom 17.12.2020).

Die lang ersehnte Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Thema Abgasskandal ist endlich da. Kurz vor Weihnachten entschieden die Luxemburger Richter, dass Abschalteinrichtungen bei Dieselmotoren illegal sind. Dieses Urteil hat neben VW Auswirkungen auf zahlreiche Autobauer und deren Motoren. Die bisher in der deutschen Rechtsprechung stark umstrittenen „Thermofenster“ sind nach der Wertung des EuGH ebenfalls unzulässig.

Hintergrund

In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall geht es um einen Fall aus Frankreich, in dem gegen einen Hersteller wegen arglistiger Täuschung ermittelt wird. Dieser wird in den Gerichtsakten mit „X“ bezeichnet. Volkswagen hat jedoch bestätigt, dass es um seine Fahrzeuge geht. Die fraglichen Fahrzeuge waren mit einem Ventil zur Abgasrückführung (AGR) ausgestattet. Das AGR-Ventil ist eine der Technologien, die von den Automobilherstellern zur Kontrolle und Verringerung der endgültigen NOx-Emissionen verwendet werden. Es handelt sich um ein System, das darin besteht, einen Teil der Abgase von Verbrennungsmotoren zum Ansaugkrümmer, d. h. dorthin, wo die dem Motor zugeführte Frischluft eintritt, zurückzuführen, um die endgültigen NOx-Emissionen zu verringern. Vor ihrem Inverkehrbringen wurden diese Fahrzeuge in einem Labor Zulassungstests nach einem anhand verschiedener technischer Parameter (Temperatur, Geschwindigkeit etc.) vordefinierten Zyklus (dem Neuen Europäischen Fahrzyklus, NEFZ) unterzogen. Diese Tests dienen unter anderem dazu, die Höhe der NOx-Emissionen und die Einhaltung der insoweit in der Verordnung Nr. 715/20071 festgelegten Grenzwerte zu überprüfen. Die Emissionen der fraglichen Fahrzeuge waren somit nicht unter realen Fahrbedingungen analysiert worden. Ein technisches Gutachten, das im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erstellt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die fraglichen Fahrzeuge über eine Einrichtung verfügen, die es ermöglicht, die Phasen der Zulassungstests zu erkennen und infolgedessen die Funktion des AGR-Systems so anzupassen, dass die vorgeschriebene Emissionsobergrenze eingehalten wird. Umgekehrt führt diese Einrichtung unter anderen Bedingungen als jenen der Zulassungstests, d. h. beim normalen Fahrbetrieb, zu einer (teilweisen) Deaktivierung des AGR-Systems und damit zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen. Der Gutachter gab an, dass die Fahrzeuge erheblich weniger NOx erzeugt hätten, wenn das AGR-System bei realem Fahrbetrieb so funktioniert hätte wie bei den Zulassungstests. Bei diesen Fahrzeugen wären aber unter anderem aufgrund einer schnelleren Verschmutzung des Motors häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten angefallen.

EU-Verordnung Nr. 715/2007- Auslegungssache

Die Verordnung Nr. 715/2007 verbietet ausdrücklich die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen unter normalen Nutzungsbedingungen verringern. Die Autobauer haben sich bisher immer darauf berufen, dass diese Abschalteinrichtungen zulässig sind, solange sie den Motor schützen. Dieses Schlupfloch hat der EuGH nun überzeugend geschlossen. In dem Verfahren ging es daher insbesondere um die Auslegung rechtlicher Spielräume, die den Schutz vor Motorteilen in älteren Dieselautos betreffen. Das Argument des Motorschutzes wird nicht nur von VW sondern von der gesamten Automobilbranche, also auch von der Konzerntochter Audi und dem Daimler Konzern vorgebracht. Dem schiebt der EuGH nun einen Riegel vor, indem er dieses Argument konsequent entkräftet. Nach Auffassung der Richter dürfen Fahrzeuge keine Software haben, die in Prüfsituationen systematisch die Emissionskontrolle verbessern, um das Zulassungsverfahren zu bestehen. Auch ein geringerer Motorverschleiß könne deren Einsatz nicht rechtfertigen. Diese Aussage ist richtungsweisend, da sie das von der Automobilbranche verwendete Argument des Motorschutzes entkräftet.

Thermofenster unzulässig

Das Urteil hat neben VW Auswirkungen auf die gesamte Automobilbranche. Insbesondere steht nun auch fest, dass die in der deutschen Rechtsprechung umstrittenen Thermofenster unzulässig sind. Viel Autobauer haben argumentiert, dass die Abgasreinigung in einem gewissen Temperaturbereich heruntergefahren werden muss, um den Motor vor Versottung zu schützen. Daher funktioniere die Reinigung bei einigen Modellen zum Beispiel auch nur zwischen zehn und 32 Grad. Wenn es kälter oder wärmer ist, wird sie heruntergefahren oder ganz ausgesetzt. In der deutschen Rechtsprechung war bisher umstritten, das Herunterfahren der Abgasreinigung, das sog. Thermofenster, mit europäischem Recht vereinbar ist oder nicht. Zwar hat der EuGH dieses Thermofenster in der Entscheidung nicht ausdrücklich erwähnt, dennoch handelt es sich beim Thermofenster letztlich um eine Abschalteinrichtung, die grundsätzlich unzulässig ist. In den nächsten Monaten werden hierzu konkrete Entscheidungen erwartet.

Entscheidung EuGH richtungsweisend

Die Entscheidung des EuGH ist richtungsweisend. Die nationalen Gerichte müssen nun die Legalität der verschiedenen Abschalteinrichtungen der unterschiedlichen Hersteller einzeln bewerten. Dabei werden sie sich an der verbraucherfreundlichen Rechtsauslegung des EuGH orientieren. In Deutschland hat der Bundesgerichtshof (BGH). So befassen sich die Richter im Februar mit der Zulässigkeit des VW-Softwareupdates, das ebenfalls eine Abschalteinrichtung enthält und im März geht es dann um ein Verfahren gegen Daimler in Bezug auf die Zulässigkeit von Thermofenstern.

Das Urteil zeigt, dass auch Kunden, deren Fahrzeuge nicht mit dem typischen Motor EA 189 von VW ausgestattet sind, gute Chancen auf Schadensersatz haben. Hierbei ist es wichtig schnell zu handeln. Der BGH entschied zuletzt, dass wer erwiesenermaßen mitbekommen hat, wie der Dieselskandal publik wurde, auch gleich handeln hätte müssen (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20). Einige Kunden, die erst 2019 oder später Klage eingereicht haben, werden daher keinen Schadensersatz erzielen können. Sie müssten belegen – und das ist schwierig – dass sie 2015 überhaupt nichts von dem Skandal mitbekommen haben. Für Verbraucher ist die Rechtsdurchsetzung in den meisten Fällen mit keinem Risiko verbunden, da die Rechtschutzversicherungen auch weiterhin die vollen Verfahrenskosten übernehmen.

Gerne prüfen wir Ihre Chancen auf Schadensersatz und stehen Ihnen bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche kompetent zur Seite.