Erbrecht: Wohnrecht des Erblassers steht Lauf der Zehnjahresfrist nicht entgegen
Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat mit seinem Urteil vom 01.09.2020 entschieden, dass die Zehnjahresfrist, nach deren Ablauf Schenkungen des Erblassers nicht mehr zugunsten der sonstigen Pflichtteilsberechtigten berücksichtigt werden, auch bei einer Übertragung an den Beschenkten unter Vorbehalt eines Benutzungs- und Rückforderungsrechtes zugunsten des Schenkers zu laufen beginnen kann (Az.: 5 U 50/19).
Zum Fall
In dem vom OLG Zweibrücken zu entscheidenden Fall ging es um die Frage, ob ein Wohnungs- und Nutzungsrecht des Erblassers den Beginn der Zehnjahresfrist hemmt oder nicht. Beide Parteien des Rechtsstreits sind gesetzliche Erben der Erblasserin. Der Kläger ist der Enkel der Erblasserin, sein Vater ist vorverstorben. Der Beklagte ist der Sohn der Erblasserin und der Onkel des Klägers. Die Erblasserin hat 12 Jahre vor ihrem Tod dem Beklagten ihr Haus übertragen, sich aber notariell ein Wohnrecht, ein Nutzungsrecht und eine Rückübertragungsverpflichtung vorbehalten. Der Kläger hat mit seiner Klage in der Hauptsache seinen Anteil aus dem Wert des Hauses in Höhe von € 53.333,33 mit der Begründung verlangt, die Zehnjahresfrist habe wegen der vorbehaltenen Rechte der Erblasserin bei der Übertragung nicht zu laufen begonnen. Das Landgericht Landau hat die Klage abgewiesen.
OLG: Zehnjahresfrist abgelaufen
Das OLG Zweibrücken hat diese Entscheidung bestätigt. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass der Wert des Hauses wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist bei der Nachlassverteilung unberücksichtigt bleibe. Die Zehnjahresfrist habe bereits mit der Grundstücksübertragung zu laufen begonnen. Das der Erblasserin eingeräumte Wohn- und Rückforderungsrecht stehe dem Beginn des Fristlaufs nicht entgegen. Die Erblasserin habe sich ein ausschließliches Bewohnungs- und Benutzungsrecht lediglich an der Wohnung im Erdgeschoss vorbehalten, so dass die Wohnung im Obergeschoss dem Beklagten zur freien Verfügung gestanden habe. Auch das von der Erblasserin vorbehaltene Rückforderungsrecht hindere den Fristbeginn nicht, weil es sich nicht um ein Rückforderungsrecht handele, dessen Ausübung allein vom Willen des Erblassers abhänge, sondern zusätzlich an ein bestimmtes Verhalten des Beklagten geknüpft gewesen sei.
Hintergrund
Die Übertragung von Immobilien zu Lebenszeiten kann aus den unterschiedlichsten Gründen erfolgen. Nicht selten soll das Eigentum an der Immobilie vorab übertragen werden, um spätere Pflichtteilsansprüche zu reduzieren. Hierbei ist aber zu beachten, dass die Immobilie, sofern sie verschenkt wird, in den zehn Jahren nach der Schenkung noch fiktiv dem Nachlass zur Ermittlung sogenannter Pflichtteilsergänzungsansprüche hinzugerechnet wird. Die Schenkung wird dabei je vergangenem Jahr mit 10 Prozent weniger berücksichtigt. Es handelt sich hier um die sogenannte „Zehnjahresfrist“.
Lauf der Zehnjahresfrist
Um die Umgehung der gesetzlichen Pflichtteilsansprüche zu verhindern und Missbrauch vorzubeugen, haben sich in der Rechtsprechung einige Ausnahmen herausgebildet. Bereits seit 25 Jahren ist höchstrichterlich anerkannt, dass bei Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts die Zehnjahresfrist nicht läuft (BGH, Urteil vom 27.04.1994 – IX ZR 132/93). Argument des BGH war, dass der Nießbraucher, der auch nach der Übertragung die Immobilie wie sein Eigentum nutzen und vermieten kann, wirtschaftlich betrachtet das Eigentum an der Immobilie nicht aufgegeben und damit den Lauf der Zehnjahresfrist nicht in Gang gesetzt hat. Dies ist insoweit problematisch, da die Immobilie dann in voller Höhe dem fiktiven Nachlass hinzugerechnet wird und die Pflichtteilsreduzierung ins Leere laufen kann.
Wohnungsrechte
In Bezug auf die Wohnungsrechte hat sich im Gegensatz zum Vorbehaltsnießbrauch noch keine einheitliche Rechtsprechung herausgebildet. So hat der BGH in seinem Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 474/15 – folgendes ausgeführt:
„Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks ein Wohnungsrecht an diesem oder Teilen daran vor, so kann hierdurch in Ausnahmefällen (hier verneint) der Beginn des Fristlaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein.“
Entscheidung des OLG
Das OLG Zweibrücken reiht sich hier in eine Reihe von Entscheidungen der Land- und Oberlandesgerichte ein, wonach es darauf ankommt, welchen Umfang das vorbehaltene Wohnungsrecht hat. So hat es den Ablauf der Zehnjahresfrist in diesem Fallbejaht, in dem sich die Erblasserin ein Wohnungsrecht lediglich an einer von zwei Wohnungen an dem übertragenen Objekt vorbehalten hatte.
Der Pflichtteil ist der Teil eines Erbes, der den Erben aufgrund von Familienzugehörigkeit gesetzlich zusteht. Die Geltendmachung des Pflichtteils oder dessen Abwehr ist rechtlich komplex. Bereits bei der Testamentsgestaltung muss beachtet werden, wer einen Pflichtteil verlangen kann und wie mit Pflichtteilsansprüchen und dessen Auswirkungen umzugehen ist. Durch rechtzeitige Planung lassen sich Pflichtteilsansprüche reduzieren. So kann die Übertragung von Immobilien zu Lebzeiten die Pflichtteilsansprüche erheblich reduzieren. Durch Einräumung eines Wohnungs- oder Nutzungsrechts an der Immobilie kann sich der Eigentümer rechtlich absichern. Allerdings besteht bei der bloßen Aushöhlung des Nachlasses die Gefahr, dass Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen. Der Erbe muss nach dem Erbfall wissen, wie richtig Auskunft über den Nachlass erteilt wird und wie viel er als Pflichtteil zu leisten hat, damit er letztlich nicht zu viel bezahlt. Für einen Pflichtteilsberechtigten ist es wichtig, den Pflichtteil rechtzeitig geltend zu machen und diesen dabei richtig und vollständig zu ermitteln, zu berechnen und durchzusetzen. Als Fachanwalt für Erbrecht stehen wir Ihnen rund um das Thema Pflichtteil mit unserer langjährigen Erfahrung kompetent zur Seite. So beraten wir Sie insbesondere zur Gestaltung von testamentarischen Enterbungen, Reduzierung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen sowie zur Geltendmachung und Abwehr von Pflichtteilsansprüchen.
Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht