Neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum digitalen Nachlass im Erbrecht
BGH: Anspruch der Erben auf Zugang zu sozialem Netzwerk
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass die Betreiberin eines sozialen Netzwerks (Facebook), die verurteilt worden ist, den Erben einer Netzwerk-Teilnehmerin Zugang zu deren vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, den Erben die Möglichkeit einräumen muss, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen und sich – mit Ausnahme einer aktiven Nutzung – darin so „bewegen“ zu können wie zuvor die ursprüngliche Kontoberechtigte (BGH, Beschluss vom 27.08.2020 – III ZB 30/20).
Hintergrund
Bei der Beklagten handelte es sich um das soziale Netzwerk Facebook. Dieses wurde durch – vom BGH (Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17) bestätigtes – rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Berlin vom 17.12.2015 verurteilt, den Eltern einer verstorbenen Nutzerin als Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer Tochter zu gewähren. Facebook hat daraufhin der Mutter der 15-jährigen Verstorbenen, einen USB-Stick übermittelt, der eine PDF-Datei mit mehr als 14.000 Seiten enthält, die nach den Angaben der Schuldnerin eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem von der Verstorbenen geführten Konto enthält, ausgehändigt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob hierdurch die Verpflichtung von Facebook aus dem Urteil des Landgerichts vom 17. Dezember 2015 erfüllt worden ist.
Das LG Berlin hat im weiteren Verlauf auf Antrag der Gläubigerin gegen die Schuldnerin wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Urteil vom 17. Dezember 2015 ein Zwangsgeld von € 10.000 festgesetzt. Das Kammergericht hat den Beschluss des Landgerichts auf die sofortige Beschwerde von Facebook aufgehoben und den Antrag der Eltern auf Festsetzung eines Zwangsmittels gegen Facebook zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Kammergericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Eltern.
Entscheidung des BGH: „Zugang heißt, sich hineinbegeben zu können“
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat den Beschluss des Kammergerichts aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt.
Bereits die Auslegung des Tenors des Urteils des Landgerichts Berlin vom 17. Dezember 2015 ergibt, dass den Eltern nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit einzuräumen ist, vom Benutzerkonto selbst und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie es die ursprüngliche Kontoberechtigte konnte, argumentieren die Karlsruher Richter.
Dies folge zudem aus den Entscheidungsgründen des vorgenannten Urteils sowie des Urteils des BGH vom 12. Juli 2018. Beide Entscheidungen haben den von Facebook zu erfüllenden Anspruch der Eltern erbrechtlich hergeleitet. Der BGH habe ausgeführt, der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter und Facebook sei mit seinen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Eltern als Erben übergegangen. Letztere seien hierdurch in das Vertragsverhältnis eingetreten und hätten deshalb als Vertragspartner und neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto ihrer Tochter sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten. Aus dieser Stellung der Erben und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch der Erblasserin aus dem mit der Schuldnerin bestehenden Vertragsverhältnis folgt ohne weiteres, dass den Erben auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren ist wie zuvor ihrer Tochter. Das ergebe sich zudem aus zahlreichen weiteren Ausführungen des BGH und des Landgerichts Berlin in ihren vorgenannten Urteilen.
Facebook hat seine Verpflichtung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 17.12.2015 nicht erfüllt. Durch die Überlassung des USB-Sticks mit einer umfangreichen PDF-Datei wurde kein vollständiger Zugang zum Benutzerkonto gewährt. Die PDF-Datei bildet das Benutzerkonto nicht vollständig ab. Letzteres erfordert nicht nur die Darstellung der Inhalte des Kontos, sondern auch die Eröffnung aller seiner Funktionalitäten – mit Ausnahme derer, die seine aktive Weiternutzung betreffen – und der deutschen Sprache, in der das Benutzerkonto zu Lebzeiten der Erblasserin vertragsgemäß geführt wurde. Diese Voraussetzungen erfüllt die von Facebook übermittelte Datei nicht.
Gleichstellung digitaler und analoger Nachlass
In dem Streit, der im Laufe der Jahre unter dem Stichwort „digitaler Nachlass“ immer mehr mediale Aufmerksamkeit auf sich zog, hatte der BGH also bereits im Juni 2018 in einer Grundsatzentscheidung befunden, dass Facebook eben jenen digitalen Nachlass des Mädchens in Form des Zugriffs auf ihr Facebook-Benutzerkonto an die Eltern übergeben muss. Damit hatten die Karlsruher Richter bereits im Jahr 2018 den digitalen Nachlass dem analogen gleichgestellt. Mit ihrem Beschluss vom 27.08.2020 haben die Richter nun auch im Hinblick auf die Art und Weise des Zugangs zu sozialen Netzwerken die Richtung vorgegeben.
Haben Sie Fragen zum Thema „Digitaler Nachlass“ und den Umgang hiermit oder wurde Ihnen als Erbe möglicherweise der Zugang verweigert, stehen Ihnen unsere Fachanwälte für Erbrecht kompetent zur Seite.
Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht