Familienrecht und Erbrecht - Berechnung der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung - Pflichtteilsanspruch ist zu berücksichtigen

Erwirbt ein Ehegatte durch den Tod seines Ehegatten Vermögen von Todes wegen, so gilt der Betrag, der dem Überlebenden als Zugewinnausgleich zusteht, nicht als erbschaftsteuerlich relevanter Erwerb (§ 5 Abs. 1 ErbStG). Auch wenn zivilrechtlich der Zugewinn nicht ausgeglichen wird, fingiert das Gesetz für die Berechnung der Erbschaftsteuer eine zivilrechtliche Ausgleichsforderung, die vom Wert des Erwerbs des überlebenden Ehegatten abgezogen wird. Dem überlebenden Ehegatten wird dadurch ein zweiter Freibetrag in Höhe des ihm zustehenden Zugewinnausgleichs gewährt. Mit Urteil vom 22.07.2020 – II R 42/18 hatte sich der Bundesfinanzhof mit der Berechnung eines solchen Zugewinnausgleichs zu beschäftigen. Es ging um die Frage, wie ein Pflichtteilsanspruch, der dem Verstorbenen aus einem früheren Erbfall zustand, im Rahmen der Berechnung des Zugewinns zu berücksichtigen ist.

Hintergrund

Der Kläger ist der Ehemann der am 30.04.2009 verstorbenen Erblasserin, die im Jahr 2005 selbst Beteiligte eines Erbfalls gewesen ist. Die vorverstorbene Mutter der Erblasserin hatte durch Testament ihren Neffen als Erben eingesetzt. Die von der Erbfolge ausgeschlossene Erblasserin machte anschließend ihren Pflichtteilsanspruch gegen die Erben ihrer Mutter gelten, dieser wurde nicht erfüllt. Allerdings wurde wegen der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegen die Erblasserin im Jahr 2006 Erbschaftssteuer festgesetzt.

Hinsichtlich des Erbfalls im Jahr 2009 berücksichtigte das Finanzamt bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer gegenüber dem Ehemann im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 ErbStG erforderlichen Berechnung der Zugewinnausgleichsforderung des Ehemanns den Pflichtteilsanspruch der Erblasserin in deren Anfangsvermögen, nicht aber in deren Endvermögen. Grundlage der Zurechnung zum Anfangsvermögen ist dabei § 1374 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift wird dem Anfangsvermögen auch das Vermögen zugerechnet, das ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstandes von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder Ausstattung erwirbt.

Der Ehemann legte gegen die Festsetzung des Finanzamts zunächst Einspruch, anschließend Klage ein. Das Finanzgericht München urteilte zu seinen Gunsten (Urteil vom 17.10.2018, AZ: 4 K 1948/17). Nicht allein die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs, sondern nur dessen Erfüllung führe zu einer Erhöhung des Anfangsvermögens. Vorher liege laut dem Gericht kein Vermögenszuwachs vor, da anders als beim Erbanfall, das Vermögen nicht kraft Gesetzes übergeht, sondern der Pflichtteilsberechtigte lediglich befugt ist, seinen Anspruch geltend zu machen. Das zuständige Finanzamt legte dagegen Revision ein.

BFH – Pflichtteilsanspruch dem Anfangsvermögen zuzurechnen

Der BFH entschied entgegen der Vorinstanz, dass der Pflichtteilsanspruch dem Anfangsvermögen des verstorbenen Ehegatten zuzurechnen ist, und zwar selbst dann, wenn der Pflichtteilsanspruch im Todeszeitpunkt bereits verjährt ist.

Zum Anfangsvermögen zählen alle dem Ehegatten am Stichtag zustehenden rechtlich geschützten Positionen von wirtschaftlichem Wert, insbesondere auch geschützte Anwartschaften oder vergleichbare Rechtsstellungen, die einen Anspruch auf künftige Leistungen gewährten und nicht mehr von einer Gegenleistung abhängig seien. Die Berücksichtigung setze nicht voraus, dass der Wert sogleich verfügbar sei. Der BFH sieht einen Pflichtteilsanspruch als eine solche geschützte Position von wirtschaftlichem Wert an. Der Pflichtteilsanspruch entstehe kraft Gesetzes mit dem Erbfall und gehöre von da an zivilrechtlich zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten. Der Pflichtteilsanspruch sei ab diesem Moment vererblich und übertragbar. Dass der originäre Pflichtteilsanspruch erbschaftsteuerlich mit dem bloßen Entstehen des Anspruchs noch nicht von Bedeutung ist, sondern erst, wenn der Berechtigte diesen geltend macht, sei unerheblich.

Fazit

Nach diesem Grundsatzurteil wirkt sich ein Pflichtteilsanspruch des verstorbenen Ehegatten für den überlebenden Ehegatten also stets steuererhöhend aus. Wenn der ererbte Pflichtteilsanspruch im Todeszeitpunkt des Ehegatten bereits verjährt ist, erhöht der Pflichtteilsanspruch das Anfangsvermögen des verstorbenen Ehegatten, nicht aber dessen Endvermögen. Hierdurch sind nicht nur der Zugewinn des Verstorbenen, sondern auch die Zugewinnausgleichsforderung des überlebenden Ehegatten, die dessen erbschaftsteuerlich relevanten Erwerb nach § 5 Abs. 1 ErbStG vermindert, geringer. Der geringere Ausgleichsanspruch führt insofern zu einem höheren erbschaftssteuerpflichtigen Erwerb.

Wenn der Pflichtteilsanspruch zum Todeszeitpunkt noch nicht verjährt ist, dann ist er für den zivilrechtlichen Zugewinn zwar neutral, da er auch dem Endvermögen des verstorbenen hinzugerechnet wird. Der Pflichtteilsanspruch des Verstorbenen geht dann jedoch als werthaltige Position auf den überlebenden Ehegatten über und erhöht insofern dessen erbschaftsteuerlich relevanten Erwerb von Todes wegen. Hierbei kommt es nicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs an. Dies unterscheidet die erbschaftsteuerliche Behandlung des Pflichtteilsanspruchs grundlegend von derjenigen eines originären ererbten Pflichtteilsanspruchs, den der Überlebende im Falle seiner Enterbung durch den Tod seines Ehegatten erlangt. Dieser originäre Pflichtteilsanspruch verwirklicht erst bei Geltendmachung einen steuerlichen Erwerbstatbestand.

Entscheidender Stichtag für die zivilrechtliche Berechnung des Anfangsvermögens ist nach Auffassung des BFH im Fall des § 1374 Abs. 2 BGB allein der Zeitpunkt des Erbfalls, zudem der Pflichtteilsanspruch bereits als Vollrecht entsteht und dem Vermögen des Pflichtteilsberechtigten zuzurechnen ist. Das spätere Schicksal des Anspruchs ist damit nach der Rechtsprechung für die Zurechnung zum Anfangsvermögen unerheblich.

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