Erbrecht - Verstoß englischen Erbrechts gegen deutschen ordre public

Die Anwendung des gewählten englischen Erbrechts gemäß Art. 22 Abs. 1 EU Erbverordnung kann mit Blick auf das in Deutschland verankerte Pflichtteilsrecht einen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellen. Nach Ansicht des BGHs ist dies jedenfalls dann so, wenn einem Kind trotz hinreichendem Inlandsbezug des Erbfalls kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch zusteht (BGH, Urteil vom 29.06.2022 – IV ZR 110/21).

Sachverhalt

Der adoptierte Sohn eines verstorbenen Briten hatte von der testamentarischen Erbin Auskunft über den Wert des Nachlasses gefordert. Der Erblasser wurde 1936 in England geboren und lebte seit seinem 29. Lebensjahr in Deutschland, wo er auch verstarb. Seinen Sohn hatte er mit Vertrag vom Oktober 1975 adoptiert, als das Kind etwas über ein Jahr alt war. In seinem Testament vom März 2015 setzte er allerdings eine gemeinnützige GmbH zur Alleinerbin an. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus einer Immobilie und einem Oldtimer. Vor dem Hintergrund seiner britischen Staatsangehörigkeit wählte er das englische Recht als Recht seines Heimatstaates. In der ersten Instanz wies das LG Köln die Auskunftsklage ab, da das englische Recht kein Pflichtteilsrecht kenne und es damit an einer Grundlage für Auskunftsansprüche fehlen würde. Das OLG Köln sprach einen Auskunftsanspruch zu, da die Anwendung des englischen Rechts insoweit ein Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellen würde. Dies wurde vom den Karlsruher Richtern bestätigt.

BGH – Mindestbeteiligung an Elternvermögen

Der BGH berief sich hierfür auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.04.2005 (NJW 2005, 1561). Demnach verlange die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige Mindestbeteiligungen von Kindern am Nachlass ihrer Eltern. Diesbezüglich wären Erben nach englischer Rechtslage nicht abgesichert, sodass nach Art. 35 EU-Erbverordnung ein offensichtlicher Verstoß gegen den ordre public vorliege. Mögliche Ansprüche des Kindes, wie beispielsweise Unterhaltsansprüche gegen den Nachlass bei Fehlen ausreichender finanzieller Vorsorge, kommen dem nicht gleich bzw. würden teils schon daran scheitern, dass der Verstorbene seinen Hauptwohnsitz zum Todeszeitpunkt nicht in England gehabt hat. Der jahrzehntelange Lebensmittelpunkt in Deutschland begründe auch den notwendigen Inlandsbezug des Falls.

Der Frage, ob hier nicht eine Vorlage an den EuGH veranlasst gewesen wäre, erteilte das Gericht eine Absage. Die Unvereinbarkeit einer ausländischen Norm mit einer nationalen Rechtsordnung können nur die nationalen Gerichte mit Blick auf ihre eigenen Gesetze beantworten.