Erbrecht – Pflichtteilsergänzung bei lebzeitiger Schenkung einer Immobilie an Sohn unter Vorbehalt eines Wohnrechts
Das OLG München hatte über einen Pflichtteilsstreit unter Brüdern zu entscheiden. In der Sache war der Erblasser im Jahr 2017 verstorben und hinterließ drei Söhne. Die Söhne waren Erben zu je einem Drittel nach ihrem Vater. Im Jahr 2010 hatte der Vater aber bereits an einen der Söhne diverse unter anderem mit einem Wohnhaus bebaute Grundstücke übertragen. An dem Wohnhaus hatte sich der Vater in dem Übertragungsvertrag ein lebenslanges Wohnrecht vorbehalten, das ihn dazu berechtigte „die Räume des bestehenden Bauernhauses alleine zu benützen.“ Nach der Übertragung nutzte der Vater das Wohnhaus bis zu seinem Tod ebenso wie im Zeitraum vor der Überschreibung der Immobilie. (OLG München vom 08.07.2022, AZ: 33 U 5525/21)
Nach dem Tod des Vaters machte einer der Söhne gegen seinen Bruder, der die Immobilien im Jahr 2010 erhalten hatte, einen Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB geltend. Der Anspruchsteller argumentierte, dass der Übertragung der Immobilien eine Schenkung zugrunde lag und diese Schenkung im Erbfall ausgeglichen werden müsse. Gleichwohl alle drei Brüder Erben zu gleichen Teilen geworden waren. Der Wert der im Jahr 2010 übertragenen Immobilien müssten, so die Begründung des Anspruchs, dem Nachlasswert fiktiv hinzu gerechnet werden und auf dieser Basis der Pflichtteil berechnet werden. Der in Anspruch genommene Bruder war von diesem Vorhaben seines Bruders natürlich wenig begeistert und verwies rein vorsorglich darauf, dass die Schenkung bereits über sieben Jahre vor dem Erbfall erfolgt sei und der Wert der Immobilien nach der so genannten Abschmelzungsregel in § 2325 Abs. 3 BGB allenfalls noch mit 40 % in Ansatz zu bringen sei.
Nachdem keine Einigung erzielt werden konnte, wurde der Pflichtteilsergänzungsanspruch mit einer Klage über einen Betrag in Höhe von € 79.112,16 geltend gemacht. Im Verlaufe des Rechtsstreits bezahlte der Beklagte an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 33.775,00. Die darüber hinausgehende Klage wies das Landgericht mit der Begründung ab, dass der Lauf der Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB tatsächlich bereits mit der Übertragung der Grundstücke vom Vater auf den einen Sohn begann und der Wert der Immobilien daher nur mit 40 % in die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs einfließen dürfen.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung zum OLG München ein.
Das OLG gab der Berufung statt und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von weiteren € 43.274,71. Begründet hat das OLG seine Entscheidung damit, dass die Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB solange gehemmt war und nicht zu laufen begann, als dem Vater als Schenker das umfassende Wohnungsrecht zugestanden hatte. Zwar sei die Hemmung der Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB bei einem vorbehaltenen Wohnrecht umstritten. Allerdings sei entscheidend, inwieweit der Übergeber die Immobilie im Wesentlichen weiter nutzt, wobei allein auf die rechtlich vereinbarte und nicht auf eine mögliche faktische Nutzung abzustellen ist. Da der Vater das Wohnhaus auch nach der Übertragung des Eigentums aufgrund des vorbehaltenen umfassenden Wohnungsrechts unter Ausschluss des neuen Eigentümers nutzen konnte und auch genutzt hatte, begann die Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht bereits mit Übertragung des Grundstücks zu laufen. Die Klage auf Pflichtteilsergänzung war im Ergebnis erfolgreich und der Beklagte hatte auch noch die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht