Erbrecht - OLG München zum Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch nach Annahme eines Vermächtnisses
1. Hat der Pflichtteilsberechtigte, der mit einem Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteilsanspruchs bedacht ist, das Vermächtnis angenommen, stehen ihm keine auf § 2314 BGB gestützten Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche zu, da endgültig feststeht, dass ein Pflichtteilsanspruch nicht mehr besteht.
2. In einem derartigen Fall kann ein allgemeiner, aus § 242 BGB resultierender Auskunftsanspruch bestehen. Dieser ist lediglich auf Vorlage eines einfachen Nachlassverzeichnisses gerichtet.
3. Ein Wertermittlungsanspruch auf Kosten des Nachlasses steht dem Vermächtnisnehmer in einem solchen Fall nicht zu.
OLG München, Beschluss vom 21.11.2022 – 33 U2216/22
Hintergrund
In einem von dem OLG München in zweiter Instanz zu entscheidenden Fall streiten die Parteien über erbrechtliche Ansprüche nach dem Tod der im Jahr 2021 verstorbenen Erblasserin P. Der Kläger ist deren Sohn, der Beklagte deren Ehemann. Der Beklagte hat die Erblasserin aufgrund notariellen Ehe- und Erbvertrages aus dem Jahr 1958 allein beerbt. Zugunsten des Klägers ist in diesem Vertrag unter Ziffern IV. ff. Regelung enthalten:
„Der überlebende Eheteil hat jedoch den Abkömmlingen des zuerst versterbenden Eheteils vermächtnisweise eine Summe auszuzahlen, die gleich ist dem Wert des diesen Abkömmlingen gesetzlich gebührenden Pflichtteils.“
Der Kläger hat dieses Vermächtnis im Jahr 2021 angenommen. Er nimmt den Beklagten auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses sowie Wertermittlung auf Kosten des Nachlasses in Anspruch, soweit sich aus dem zu erstellenden Verzeichnis Grundstücke ergeben.
Landgericht wies Klage ab
Das Landgericht sah den Anspruch auf Auskunft als erfüllt an, da der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht im Jahr 2022 ein einfaches Nachlassverzeichnis übergeben hat. Weitere Ansprüche bestünden nicht, da der Kläger lediglich auf § 242 BGB als Anspruchsgrundlage zurückgreifen könne, insbesondere sei § 2314 Abs. 1 BGB nicht anwendbar. Den Zahlungsanspruch hat das Landgericht abgewiesen, weil der klägerische Antrag nicht den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entspreche.
OLG: LG hat Klage zu Recht abgewiesen
Die Münchner Richter entschieden, dass das Landgericht die Klage im Hinblick auf den Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch zu Recht abgewiesen hat.
Dem Kläger steht als Vermächtnisnehmer im konkreten Fall zwar ein Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB gegen den Beklagten zu. Dieser ist jedoch mit der Übergabe des privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses im Termin der mündlichen Verhandlung im Jahr 2022 erfüllt worden und damit erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus gehende Ansprüche bestehen nicht. Der Kläger hat insbesondere keinen Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses aufgrund des im Ehe- und Erbvertrag aus dem Jahr 1958 angeordneten Vermächtnisses. Zwar hat der Erblasser grundsätzlich die Möglichkeit, dem Vermächtnisnehmer durch Verfügung von Todes wegen nicht nur den Vermächtnisgegenstand, sondern auch die zur Durchsetzung des Vermächtnisses gegebenenfalls erforderlichen Hilfsansprüche auf Auskunftserteilung zu vermachen. Dies ist hier aber nicht der Fall. Im notariellen Ehe- und Erbvertrag findet sich diesbezüglich keine ausdrückliche Anordnung, sodass sich ein mit Vollmacht der Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch allenfalls im Wege der Auslegung des Erbvertrags der Ehegatten ergeben könnte.
Ein entsprechender Wille der Erblasser lässt sich aber nicht im Wege der erläuterten Testamentsauslegung feststellen. Auch nicht im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung. Zwar kann eine planwidrige Regelungslücke in einem Testament oder Erbvertrag geschlossen werden, wenn sich eine entsprechende Willensrichtung der Erblasser feststellen lässt und diesem Testament bzw. Erbvertrag zumindest angedeutet ist. Im vorliegenden Fall hatte der Senat aber bereits Zweifel, ob sich im notariellen Ehe- und Erbvertrag überhaupt eine planwidrige Regelungslücke feststellen lässt. Dagegen spricht insbesondere, dass die Vertragsparteien notariell beraten worden sind und es naheliegend erscheint, dass der Notar Fragen der Durchsetzbarkeit des Vermächtnisses bedacht und zum Gegenstand der Beratung gemacht hat. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, dass der Vermächtnisnehmer zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge gehört.
Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB stützen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Auskunftsanspruch des mit einem Vermächtnis bedachten Pflichtteilsberechtigten nicht davon abhängt, dass dieser das Vermächtnis ausschlägt oder dass es den Wert des Pflichtteils übersteigt. Anknüpfungspunkt ist insoweit, dass § 2314 Abs. 1 BGB an das Pflichtteilsrecht, nicht den Pflichtteilsanspruch anknüpft. Dieser besteht aber dann nicht mehr, wenn ein Pflichtteilsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr besteht, denn dann besteht kein Informationsbedürfnis für den Pflichtteilsberechtigten mehr, sodass die Geltendmachung des Auskunftsanspruch jedenfalls rechtsmissbräuchlich ist.
So liegt der Fall hier. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Landgerichts, die für das OLG bindend sind, das Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteilsanspruchs im Jahr 2021 angenommen, wodurch sein Pflichtteilsanspruch vollständig erloschen ist. Dass der Kläger nach seinem Vortrag auf die Auskunft für die Durchsetzung des Vermächtnisses angewiesen ist, ändert an der Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung des im Pflichtteilsrecht wurzelnden Auskunftsanspruch zur Durchsetzung eines Vermächtnisanspruches im vorliegenden Falle nichts.
Zwar steht dem Kläger ein Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB zu, jedoch ist dieser bereits erfüllt.
Der Auskunftsanspruch wurde hier über die Vorlage eines einfachen Nachlassverzeichnisses erfüllt. Soweit § 2314 Abs. 1 BGB auch einen Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses gewährt, rechtfertigt sich dies durch die herausgehobene Stellung des Pflichtteilsrechts, dass eine grundrechtlich geschützte, grundsätzlich nicht entziehbare Teilhabe am Nachlass gewährt. Im Hinblick auf den auf § 242 BGB gestützten Auskunftsanspruch besteht ein Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses jedoch nicht.
Dem Vermächtnisnehmer kommt keine dem Pflichtteilsberechtigten vergleichbare Rechtsposition zu. Das zeigt sich bereits daran, dass ein Vermächtnis unwirksam ist, wenn der vermachte Gegenstand zur Zeit des Erbfalls nicht mehr zum Nachlass gehört (§ 2169 Abs. 1 BGB) und dass der Vermächtnisnehmer nur eine nachrangige Stellung einnimmt (vgl. § 1991 Abs. 4 BGB). Dass dem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer unbenommen ist, das Vermächtnis auszuschlagen und stattdessen seinen Pflichtteil zu beanspruchen, ist nicht ersichtlich, wieso dem Pflichtteilsberechtigten, der sich zur Annahme des Vermächtnisses entschließt, dieselben Rechte zustehen sollten wie einem Pflichtteilsberechtigten.
Das Landgericht ist damit zu Recht davon ausgegangen, dass der Auskunftsanspruch erfüllt ist. Auch hat das Landgericht die Klage im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Wertermittlung auf Kosten des Nachlasses abgewiesen. So war die Klage bereits unzulässig, soweit sie mit dem Anspruch auf Auskunftserteilung auf derselben Stufe erhoben worden war, denn beide Ansprüche stehen in einem Stufenverhältnis zueinander. Erst auf der Grundlage der erteilten Auskunft stellt sich die Frage der Wertermittlung, beide Ansprüche können demzufolge nicht auf derselben Stufe geltend gemacht werden.
Das Landgericht konnte die Klage dennoch bereits endgültig abweisen, da auch ein Wertermittlungsanspruch in der Sache nicht besteht. Insoweit verweisen die OLG Richter auf die Ausführungen hinsichtlich des auf § 2314 BGB gestützten Anspruchs auf Auskunft. Ein Wertermittlungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 242 BGB. Soweit der BGH in der Entscheidung vom 02.06.1993 (IV ZR 259/92, NJW 1993, 2737) einen Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Erben auf eigene Kosten gegen den angeblich vom Erblasser Beschenkten Miterben anerkannt hat, können die dortigen Erwägungen nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Die rechtliche Stellung des Vermächtnisnehmers ist mit der eines pflichtteilsberechtigten Miterben nicht zu vergleichen. Im Übrigen besteht auch nach Ansicht des BGH der Anspruch von vornherein nur auf Vorlage eines Wertermittlungsgutachtens, das auf Kosten des Gläubigers, nicht aber auf Kosten des Nachlasses erstellt wird.
Pflichtteilsberechtigte Miterben sollten daher immer genau prüfen, ob sie Vermächtnisse vor Einsicht in das Nachlassvermögen annehmen oder nicht. Ist das Vermächtnis einmal angenommen stehen dem Vermächtnisnehmer keine auf § 2314 BGB gestützten Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche mehr zu. Auch der allgemeine Auskunftsanspruch nach § 242 BGB erfordert lediglich die Vorlage eines einfachen Nachlassverzeichnisses.
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Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht