Erbrecht – Ergänzende Testamentsauslegung zu Gunsten des Abkömmlings der als Erbin eingesetzten Lebensgefährtin

  1. Im Falle der Erbeinsetzung einer dem Erblasser nahestehenden Person, etwa einer Lebensgefährtin, wenn es sich dabei um eine tiefergehende und auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft handelte, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben zu berufen. Der tatsächliche oder hypothetische Erblasserwille ist insoweit anhand aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.
  2. Eine ergänzende Testamentsauslegung kann zu dem Ergebnis führen, dass der Erblasser für die Konstellation des Vorversterbens seiner Lebensgefährtin deren Abkömmlinge als Ersatzerben berufen hätte. Setzen sich die Versorgungsgemeinschaft und das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Erblasser und der Familie seiner Lebensgefährtin, insbesondere in Person ihrer Tochter, nahtlos fort, spricht viel dafür, dass der Erblasser die Tochter seiner Lebensgefährtin als Ersatzerbin bedacht hätte, wenn er im Zeitpunkt der Testamentserrichtung die später eingetretene Entwicklung – vor Versterben seiner Lebensgefährtin – vorausschauend bedacht hätte.

AG Bamberg, Beschluss vom 30.12.2021, AZ: 55 VI 248/21