Erbrecht - Erblasser räumt seiner Lebensgefährtin zu Lebzeiten ein Nießbrauchrecht an einer Immobilie ein - Kinder wollen nach dem Tod des Vaters Schmälerung ihres Erbes nicht hinnehmen
1. Ein von einem Erblasser zu Lebzeiten unentgeltlich gewährter Nießbrauch an einem Hausgrundstück zugunsten seiner Lebensgefährtin stellt sich nicht als beeinträchtigend im Sinne des § 2287 Abs. 1 BGB analog dar, wenn der Erblasser im erheblichen Eigeninteresse gehandelt hat, da er sich hierdurch der Unterstützung seiner Lebensgefährtin in alten und kranken Tagen versichern wollte und der Nießbrauch sich nicht nur als bloße Versorgungsleistung zugunsten seiner Lebensgefährtin darstellt.
2. Die Erwartung einer gegenseitigen Unterstützung in alten, kranken und gebrechlichen Tagen beschränkt sich nicht nur auf Pflegeleistungen, sondern umfasst auch im Rahmen einer Lebensgemeinschaft übliche, alltägliche Unterstützungsleistungen außerhalb des klägerischen Bereiches.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.11.2022 – 14 U 274/21
Hintergrund
Das OLG Karlsruhe hatte in einem Fall zu entscheiden, ob ein Vater seinen Töchtern zu Unrecht einen Teil des Erbes vorenthalten hatte. Der spätere Erblasser und seine vierte Ehefrau haben am 10.01.2002 ein gemeinsames Testament verfasst. In diesem gemeinsamen Testament hatten sich die Eheleute für den ersten Erbfall gegenseitig als alleinige Erben eingesetzt. Gleichzeitig bestimmen die Ehepartner, dass nach dem Tod des zuletzt versterbenden Ehepartners eine Tochter des Ehemannes und eine Tochter der Ehefrau als Schlusserben das Familienvermögen erhalten sollen. Die Ehefrau verstarb am 04.02.2003 und wurde von ihrem Mann alleine beerbt. In den Nachlass der Ehefrau fiel auch eine Immobilie.
In der Folge lernte der spätere Erblasser eine weitere Frau kennen und räumte dieser Frau an der von ihm geerbten Immobilie mit notariellem Vertrag vom 24.06.2007 eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit in Form eines lebenslangen Mitbenutzungsrechts sowie einen bedingten Nießbrauch ein. In dem notariellen Vertrag, in dem seiner neuen Lebensgefährtin diese Rechte eingeräumt wurden, wiesen die Parteien darauf hin, dass sie eine dauerhafte Haus- und Lebensgemeinschaft eingegangen seien und sie wechselseitig die Erwartung einer gegenseitigen Unterstützung in alten, kranken und gebrechlichen Tagen hätten.
Am 03.02.2020 verstarb der Erblasser und wurde nach den Regelungen im gemeinsamen Testament vom 10.01.2002 von seiner Tochter und der Tochter seiner vierten Ehefrau beerbt.
Beeinträchtigung Erbe
Die beiden Erbinnen waren der Ansicht, dass der wesentliche Nachlassgegenstand, den sie beerbt hatten, mit dem Nießbrauchrecht zugunsten der Lebensgefährtin des Erblassers belastet sei. Sie forderten die Lebensgefährtin des Erblassers daher auf, auf ihre Rechte an der Immobilie zu verzichten. Die Lebensgefährtin des Erblassers ist dieser Forderung nicht nachgekommen, daher verklagten die beiden Erbinnen die Lebensgefährtin des Erblassers auf Löschung der zu ihren Gunsten im Grundbuch eingetragenen Rechte.
Landgericht und OLG weisen Klage ab
Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen und auch in der Berufungsinstanz wurde die auf § 2287 BGB gestützte Klage der Erbinnen abgewiesen.
Die Karlsruher Richter führen in ihrem Urteil aus, dass § 2287 BGB bei einem bindend gewordenen gemeinsamen Testament dann Grundlage für ein Rückforderungsrecht der Erben sein könne, wenn der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht habe. Ein solcher Missbrauch liege aber dann nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte. Das OLG bejahte, wie bereits das Landgericht, ein solches lebzeitiges Interesse der Erben des Erblassers an der Einräumung des Nießbrauchs an seine Lebensgefährtin.
Das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter sei ein solches anerkennenswertes Interesse. Weiter wiesen die Richter auch noch darauf hin, dass das Nießbrauchrecht mit dem Ableben der Lebensgefährtin des Erblassers wegfalle und die beiden Erbinnen dann über eine unbelastete Immobilie verfügen könnten. Im Ergebnis mussten die Töchter akzeptieren, dass der Erblasser seiner Lebensgefährtin zu Lebzeiten ein Nießbrauchrecht an dem werthaltigen Nachlassgegenstand eingeräumt hatte.
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Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht