Erbrecht - Durch Verzeihung eingetretene Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung kann nur über § 2085 BGB zur Unwirksamkeit der Enterbung führen
Hintergrund
Die Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) wenden sich gegen die Zurückweisung eines nach der gesetzlichen Erbfolge beantragten Erbscheins. Das Nachlassgericht sei zu Unrecht von einer wirksamen testamentarischen Enterbung ausgegangen. Der Erblasser war mit der nachverstorbenen früheren Beteiligten zu 4.) verheiratet. Die Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) sind die gemeinsamen Kinder der Eheleute, die Beteiligten so zu 5.) bis zu 10.) die Enkel der Eheleute
Mit eigenhändigem Testament vom 08.03.2016 verfügte der Erblasser wie folgt:
„Letztwillige Verfügung:
Hiermit enterbe ich meine Kinder und entziehe ihnen auch den Pflichtteil wegen groben Undankes.“
Vorangegangen war der letztendlich letztwilligen Verfügung eine auch gerichtlich geführte Auseinandersetzung zwischen dem Erblasser den Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) um den Aufenthaltsort der Ehefrau des Erblassers. Die Ehefrau des Erblassers war bereits zum damaligen Zeitpunkt erkrankt, wohnte aber bei dem Erblasser, bis die Beteiligte zu 2.) sie gemeinsam mit den Beteiligten 1.) und zu 3.) in Abwesenheit des Erblassers aus der Ehewohnung holte, und bei sich aufnahmen. Anlass war eine von dem Erblasser geplante und unmittelbar bevorstehende USA-Reise mit seiner Ehefrau, durch die die Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) nach Einholung ärztlichen Rats die Gesundheit der Ehefrau bedroht sahen, auch weil der dialysepflichtige Erblasser sich nicht zureichend um sie kümmern könne. Bereits am 07.09.2012 hatte die Ehefrau des Erblassers der Beteiligten zu 2.) eine umfassende Vollmacht erteilt, welche auch die Berechtigung zur Aufenthaltsbestimmung enthielt. Der damals bei der Unterzeichnung anwesende Erblasser ging allerdings später davon aus, dass die Unterschrift seiner Ehefrau gefälscht sei.
Nachdem die verlässliche Versorgung der Ehefrau des Erblassers bei der Beteiligten zu 2.) von jener nicht geleistet werden konnte, wurde sie mit genehmigendem Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe aus dem Jahr 2015 in einer geschlossenen Abteilung in einem Seniorenzentrum untergebracht. Auch nachfolgend standen sich der Erblasser und die Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) in einer Vielzahl von gerichtlich geführten Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Unterbringung der Ehefrau des Erblassers gegenüber.
Ein von den Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) beantragtes Verfahren zur Einrichtung einer Betreuung für den Erblasser wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom August 2018 eingestellt, nachdem der ihn begutachtende Facharzt für Psychiatrie und Neurologie aufgrund einer am 31.03.2018 erfolgten Untersuchung des Erblassers zu der Einschätzung kam, dass jener trotz einer kognitiven Störung in der Lage sei, seinen Willen frei zu bestimmen und entsprechend seiner Einsicht zu handeln.
Ein von dem Amtsgericht Karlsruhe eingeholtes Schriftgutachten kam im Hinblick auf die Vorsorgevollmacht zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständliche Signatur mit hoher Wahrscheinlichkeit eigenhändig von der Frau gefertigt wurde und auch sonst keine Hinweise für eine Manipulation der Vollmachtsurkunde vorlägen. Unmittelbar darauf erteilte der Erblasser dem Beteiligten zu 1.) eine Vollmacht zu allen Rechtsgeschäften, die mit der laufenden Verwaltung, der Instandhaltung und -setzung sowie der Modernisierung des im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gewerbegrundstücks verbunden waren. Auch versuchte er wenige Tage vor seinem Tod Kontakt zu dem Beteiligten zu 1.) aufzunehmen.
Mit Schriftsatz vom 23.06.2021 haben die Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) einen Erbschein beantragt, der sie als Erben zu jeweils einem Sechstel und die Ehefrau des Erblassers als Erben zu ein halb ausweist. Sie haben zudem die Anfechtung der letztwilligen Verfügung vom 08.03.2019 erklärt und dies mit der irrtümlichen Annahme des Erblassers, dass die Unterschrift seiner Ehefrau unter der Vorsorgevollmacht gefälscht sei, begründet. Die irrige Annahme der Fälschung der Vorsorgevollmacht sei nicht lediglich einer von mehreren Gründen für die Enterbung gewesen, sondern für den Erblasser der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund. Dies folge auch aus dem Umstand, dass der Erblasser nur wenige Tage nach Eingang des Schriftgutachten den Beteiligten zu 1.) bevollmächtigt habe.
Mit Beschluss vom 11.08.2021 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Die Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) seien mit dem eigenhändigen Testament vom 08.03.2016 von der Erbfolge ausgeschlossen. Ein zur Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigender Irrtum liege nicht vor. Es sei davon auszugehen, dass die Enterbung aufgrund einer Verärgerung des Erblassers wegen der Streitigkeit mit seinen Kindern und um die Unterbringung seiner Ehefrau erfolgt sei. Nicht ersichtlich sei hierbei jedoch, dass gerade die vom Erblasser angenommene Fälschung der Vollmacht der kausale entscheidende Grund für die letztwillige Verfügung gewesen sei. Ein diesbezüglicher Irrtum des Erblassers begründe daher kein Anfechtungsrecht. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1.), zu 2.) und zu 3.) sei auch nicht aufgrund der Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung von einer Unwirksamkeit der Enterbung auszugehen.
Es handele sich um zwei Verfügungen und es sei nicht erkennbar, dass der Erblasser die Enterbung bei Kenntnis von der Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung nicht mehr gewollt hätte. Schließlich lasse sich auch eine Verzeihung nach § 2337 BGB nicht feststellen. Fehle eine ausdrückliche Erklärung des Erblassers, wird die Verzeihung oftmals erst den Abschluss eines längerdauernden Entwicklungsprozesses bilden, bei dem der Erblasser eine zunehmende Versöhnungsbereitschaft erkennen lasse.
In einem solchen Fall sei stets sehr genau zu prüfen, ob die erforderliche Versöhnungsbereitschaft tatsächlich vorhanden sei. Die Erteilung der Vollmacht an den Beteiligten zu 1.) könne daher nicht als Verzeihung gewertet werden, zumal der Erblasser den Rechtsstreit bezüglich der Vollmachtsfälschung weiterverfolgt habe. Es könne aufgrund der lebensbedrohlichen Situation des Erblassers auch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Gleichgültigkeit eingetreten sei. Im Übrigen beziehe sich die Verzeihung nur auf die Pflichtteilsentziehung.
Unsere auf das Erbrecht spezialisierten Anwälte stehen Ihnen bei sämtlichen Fragestellungen des Erbrechts gerne kompetent zur Verfügung.
Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht