Erbrecht „Digitaler Nachlass"
Beim digitalen Nachlass oder digitalen Erbe handelt es sich um eine Vielzahl von Rechtspositionen eines verstorbenen Internetnutzers, insbesondere dessen Vertragsbeziehungen zu Host-, Access- oder E-Mail-Providern sowie zu Anbietern sozialer Netzwerke oder virtuellen Konten. Es zählen auch Eigentumsrechte des Verstorbenen an Hardware, Nutzungsrechte an der Software, Urheberrechte und Rechte an hinterlegten Bildern, Foreneinträgen und Blocks dazu. Vielen Internetnutzern ist daher inzwischen klar, dass sie auch ihr digitales Erbe frühzeitig regeln müssen. Es stellt sich hier die Frage wie. Laut einer Umfrage des Informations- und Telekommunikations-Branchenverbandes Bitkom haben 16 % der Internetnutzerinnen und Internetnutzer ihren digitalen Nachlass vollständig bzw. 24 % diesen zumindest teilweise geregelt. 53 % der Nutzerinnen und Nutzer sind sich zwar des Problems bewusst, haben aber noch keine Regelungen getroffen.
Es ist umstritten, ob der digitale Nachlass vererblich ist. Bisher ergangene unterinstanzliche Entscheidungen sowie Teile der Literatur befürworten die Vererblichkeit des digitalen Nachlasses. So unterliegt der digitale Nachlass grundsätzlich der Gesamtrechtsnachfolge, wonach mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen übergeht, § 1922 BGB. Dies hat der BGH im Jahre 2018 für den Nutzungsvertrag eines sozialen Netzwerks bestätigt (BGH, Urteil vom 12.7.2018 – Az.: III ZR 183/17). So haben die Erben ein berechtigtes Interesse daran, Zugang zu den Daten des Verstorbenen zu erhalten, da sie die Pflicht zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung und Abwicklung trifft (§ 1967 BGB). Zudem haben sie binnen sechs Wochen über die Annahme bzw. Ausschlagung der Erbschaft zu entscheiden (§ 1944 BGB), wofür sie beispielsweise auch den E-Mail-Verkehr des Erblassers nach noch offenen Rechnungen etc. durchsehen müssen. Die vom digitalen Nachlass umfassten Rechtspositionen gehören zur Erbschaft und gehen im Wege der Universalsukzession auf den oder die Erben über (§ 1922 Abs. 1 BGB). Das hat zur Folge, dass etwa die Erben eines Accountinhabers mit allen Rechten und Pflichten in den Nutzungsvertrag mit dem Provider eintreten und Ihnen grundsätzlich derselbe Anspruch auf Zurverfügungstellung und Nutzung der Accounts zusteht wie zuvor dem Erblasser einschließlich der Auskunftsansprüche gegen den Provider in Bezug auf Zugangs-und Vertragsdaten.
Um daher eine sinnvolle Regelung für den eigenen digitalen Nachlass zu finden, sollte sich jeder die Frage stellen, ob die Erben tatsächlich Zugang zum eigenen digitalen Nachlass erlangen sollten oder nicht. Weiter muss man sich fragen, wie man den Erben den Zugang zum digitalen Nachlass gewährleisten kann.
Zugriff verhindern
Wenn man den Zugriff auf sensible Daten verhindern will, da der Erblasser beispielsweise intimste Einblicke in sein Privatleben durch seine nächsten Angehörigen fürchtet, kann er dies mithilfe einer detaillierten Planung seines Testaments unter Ausnutzung der erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten abwenden. So kann der Erblasser in Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge einen Erben bestimmen, zu dem er Vertrauen hat und der Einblicke auch in höchstpersönliche Inhalte nehmen darf. In diesem Fall haben übergangene gesetzliche Erben, z.B. die eigenen Kinder, einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Erben. Sinnvoll kann daher die Anordnung einer Testamentsvollstreckung in einer letztwilligen Verfügung sein, um höchstpersönliche und intime Daten vor dem Zugriff durch die Erben zu schützen. Der Testamentsvollstrecker ist eine vom Erblasser im Testament eingesetzte Person, die seine testamentarischen Bestimmungen zu erfüllen hat. Sobald der Testamentsvollstrecker sein Amt annimmt, nimmt er in der Regel den Nachlass in Besitz, wodurch die Erben bis zur Beendigung der Testamentsvollstreckung die Befugnis verlieren, auf den Nachlass zugreifen zu können. Durch testamentarische Anordnungen kann der Erblasser dem Testamentsvollstrecker konkrete Anweisungen geben, wie der digitale Nachlass abzuwickeln oder zu verwalten ist. So kann verfügt werden, dass intime Bilder oder bestimmte Vertragsbeziehungen gekündigt bzw. gelöscht werden. Der Erblasser muss aber dafür Sorge tragen, dass der Testamentsvollstrecker auch die Zugangsdaten zum digitalen Nachlass erhält.
Daneben bietet sich als weitere erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeit die testamentarische Anordnung einer Auflage an. Mit einer Auflage kann der Erblasser den Erben oder einen Vermächtnisnehmer verpflichten, Dateien zu löschen bzw. Vertragsbeziehungen zu kündigen, wobei sie eine vorherige Einsichtnahme in die Dateien oder Konten zu unterlassen haben. Problematisch an dieser Möglichkeit ist aber, dass die Einhaltung der Auflage grundsätzlich nicht kontrolliert wird, wodurch der Wille des Erblassers eventuell nicht zum Tragen kommen kann. Die Einhaltung der Auflage ist daher testamentarisch durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung abzusichern. Der Testamentsvollstrecker dient als Kontrollorgan für den Erblasser.
Zugriff ermöglichen
Wenn man als Erblasser möchte, dass die Erben Zugriff auf die digitalen Daten erhalten sollen, sind diesen Personen die Zugangsdaten zur Verfügung zu stellen. Zwar kann man davon ausgehen, dass die genannten Personen aufgrund ihrer Rechtsstellung bei den jeweiligen Dienstanbietern einen Auskunftsanspruch bzw. ein Einsichtsrecht besitzen. Die Durchsetzung dieser Rechte kann sich bei Dienstanbietern mit Sitz im Ausland im Einzelfall aber als schwierig gestalten. Häufig werden die genannten Personen auch keinen Überblick haben, wo der Erblasser ein Benutzerkonto besaß. Insbesondere bei digitalen Vermögenswerten, wie Kryptowährungen, kann dies schnell zu einem Verlust der Vermögenswerte und einer Schmälerung des Nachlasses führen. In diesen Fällen wird der sogenannte „private key“ als vererbbares Bezugsobjekt angesehen. Wird dieser nicht zur Verfügung gestellt oder ist verloren gegangen, ist grundsätzlich auch das digitale Vermögen verloren.
Es besteht für den Erblasser die Möglichkeit, die Zugangsdaten in seinem Testament oder der Vorsorgevollmacht selbst aufzulisten. Dies kann aber zu Problemen führen. Einerseits besteht die Gefahr, dass unberechtigte Dritte, wie beispielsweise der Rechtspfleger bei der Eröffnung des Testaments, Kenntnis von den Daten erhalten und unberechtigt darauf zugreifen. Andererseits sind Zugangsdaten ohnehin vor dem Hintergrund der Datensicherheit regelmäßig zu ändern. Ändert man die Zugangsdaten stetig, unterliegt das Testament oder die Vorsorgevollmacht auch einem Anpassungsbedarf. Dies verursacht selbstverständlich beim notariellen oder hinterlegten Testament zusätzliche Kosten und führt im Erbfall zu Unübersichtlichkeit.
Mittlerweile werben daher diverse Anbieter damit, dass die Nutzer ihren digitalen Nachlass bei Ihnen regeln können. So kann der Nutzer bei einigen Anbietern einen Begünstigten bestimmen, der im Erbfall einen Aktivierungscode erhält, der einen Zugriff auf die Zugangsdaten ermöglicht. Diese Dienstleistungen sind aber risikobehaftet. So kann die Sicherheit der Daten, insbesondere bei Anbietern mit Sitz im Ausland, nicht gewährleistet werden. Des Weiteren sind die Nutzer immer dem Insolvenzrisiko des Anbieters ausgesetzt und eine staatliche Kontrolle gibt es in den meisten Fällen nicht.
Eine gute Option zur Regelung des digitalen Nachlasses ist eine sogenannte digitale Vorsorgeurkunde. Hier wird die Liste mit den Zugangsdaten verschlüsselt und mittels eines Master-Passworts geschützt und beispielsweise auf einem lokalen Datenträger, z.B. einer externen Festplatte oder einem USB-Stick gespeichert. Das Master-Passwort sowie der Ablageort der gespeicherten Zugangsdaten sind dem Erben oder dem Bevollmächtigten zugänglich zu machen.
Dieses Passwort und der Aufbewahrungsort können einfach in der Verfügung von Todes wegen, der Vorsorgevollmacht oder in einer Anlage zu den beiden Dokumenten aufgeführt werden. Die Verbraucherzentrale und Stiftung Warentest empfehlen, für den Todesfall anzugeben, wo Zugangsdaten sozialer Netzwerke zur eventuellen Löschung eines Social-Media-Profils etc. hinterlegt sind. Für den praktischen Umgang mit einem digitalen Nachlass haben sich im Wesentlichen folgende Ansätze etabliert:
Computer Forensik
Hierbei wird der Computer des Verstorbenen von IT-Spezialisten auf Hinweise auf einen digitalen Nachlass untersucht. Hauptaufgabe ist die Sicherstellung aller Daten auf den Geräten, auch unter Umgehung von Kennwörtern und anderer Sicherungsmittel. Dabei soll digitales Erbe auf lokalen Geräten gerettet werden. Weiterhin findet man Kommunikationsspuren, um mögliche Internettransaktionen zu erkennen.
Systemeigener Lösungsansatz
Google beispielsweise bietet für seine Dienste einen Konto-Inaktivitäts-Manager an, mit dessen Hilfe jeder Nutzer zu Lebzeiten selbst Einstellungen für die weitere Verwendung der Daten nach seinem Tod vornehmen kann. Der Besitzer eines Nutzerkontos kann z.B. einstellen, welche bis zu zehn Personen bei der Inaktivität des Kontos nach einer bestimmten Zeit benachrichtigt und zugriffsberechtigt werden, oder ob das Konto inklusive aller gespeicherten Dateien und Daten nach einer vorgegebenen Zeit automatisch gelöscht wird.
Systemneutraler Lösungsansatz
Dabei kann sich jede natürliche Person zu Lebzeiten ein digitales Schließfach je nach Anbieter gegen monatliche oder einmalige Gebühr einrichten, in der personenbezogenen Zugänge und Passwörter verschlüsselt gespeichert werden. Nach dem Ableben des Schließfachinhabers und unter Vorlage einer beglaubigten Sterbeurkunde werden die Daten anschließend an die Angehörigen weitergegeben.
Die praktikabelste Lösung bleibt weiterhin die konkrete Anordnung von Handlungsanweisungen in einer letztwilligen Verfügung.
Bei Fragen rund um das Thema digitaler Nachlass sowie letztwilliger Verfügungen oder Testamentsvollstreckungen stehen Ihnen unsere auf das Erbrecht spezialisierten Anwälte jederzeit gerne zur Verfügung.
Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht