Erbrecht – BGH zur Vorsorge- und Betreuungsverfügung

„Die nach § 278 Abs. 1 S. 1 FamFG erforderliche Anhörung des Betroffenen ist grundsätzlich durchzuführen, nachdem ihm das nach § 280 Abs. 1 S.1 FamFG einzuholende Sachverständigengutachten rechtzeitig bekanntgegeben worden ist.“

(BGH, Beschluss vom 10.03.2021 – XII ZB 462/20)

Hintergrund

Die Betroffene, die an einer Demenzerkrankung leidet, erteilte am 1. Juli 2018 dem Beteiligten zu 2, einem ihrer Söhne, eine Vorsorgevollmacht. Mit Schreiben vom 10. September 2019 hat ein weiterer Sohn der Betroffenen, der Beteiligte zu 1, beim Amtsgericht die Einrichtung einer Betreuung angeregt, weil er Zweifel an der Gültigkeit der Vorsorgevollmacht und der Eignung des Vorsorgebevollmächtigten hatte Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens im Hinblick auf die erteilte Vorsorgevollmacht die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt. Hiergegen hat der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung eingeholt und den Beteiligten zu 3 zum Verfahrenspfleger bestellt. Nach Anhörung der Betroffenen sowie ihrer Söhne durch den Berichterstatter als beauftragtem Richter hat das Landgericht den Beteiligten zu 4 zum Berufsbetreuer bestellt und ihm den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Sorge für die Gesundheit, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post übertragen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 2 mit der Rechtsbeschwerde.

 

Beschwerdegericht: Bestellung Betreuer aufgrund Demenz erforderlich

Das Beschwerdegericht gab der Rechtsbeschwerde nicht statt. Vielmehr hielt es die Bestellung eines Betreuers als erforderlich, da die Betroffene aufgrund ihrer Demenzerkrankung ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln könne. Die dem Beteiligten zu 2 erteilte Vorsorgevollmacht mache die Einrichtung einer Betreuung nicht entbehrlich. Denn diese sei nicht wirksam erteilt worden. Die Betroffene sei bereits im Juli 2018 nicht mehr in der Lage gewesen, wirksam eine Vorsorgevollmacht zu erteilen. Dies ergebe sich aus dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten und dem Eindruck von der Betroffenen anlässlich der Anhörung. Die Sachverständige habe ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die Betroffene mit großer Wahrscheinlichkeit schon am 1. Juli 2018 nicht mehr in der Lage gewesen sei, die für und wider die Einrichtung einer Vorsorgevollmacht sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen, gegeneinander abzuwägen und unbeeinflusst von der vorliegenden Erkrankung nach den Erkenntnissen zu handeln.

Für die Betroffene sei ein Berufsbetreuer zu bestellen, da insbesondere im Hinblick auf das vorhandene Immobilienvermögen erhebliche Verwaltungstätigkeiten zu erwarten seien. Die Einsetzung des Vorsorgebevollmächtigten als Betreuer komme nicht in Betracht. Dieser wohne mietfrei in der Immobilie der Betroffenen und verfüge lediglich über ein Einkommen in Höhe von € 500,00 monatlich. Damit wäre er zu Mietzahlungen nicht in der Lage. Die Frage, ob die von ihm ausgeübten Verwaltungstätigkeiten gegebenenfalls eine Mietzahlung entbehrlich machten, sei durch einen unabhängigen Betreuer zu prüfen. Außerdem machten die Konflikte zwischen den Söhnen der Betroffenen ebenfalls die Einsetzung eines unabhängigen Betreuers erforderlich.

 

BGH: Verfahrensfehler

Der Betroffenen wurden die der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverständigengutachten nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung setzt voraus, dass das Gutachten dem Betroffenen mit seinem vollen Wortlaut zur Verfügung gestellt wird. Davon kann nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden. Das zuständige Amtsgericht hat das Sachverständigengutachten der Betroffenen nicht bekanntgegeben. Dieser Verfahrensfehler ist auch im Beschwerdeverfahren nicht behoben worden. Das Beschwerdegericht hat für die Betroffene zwar einen Verfahrenspfleger bestellt und ihm Akteneinsicht gewährt, so dass der Verfahrenspfleger Kenntnis vom Inhalt des Sachverständigengutachtens erlangt haben dürfte. Die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger ersetzt eine Bekanntgabe an die Betroffene jedoch nicht, denn der Verfahrenspfleger ist – anders als ein Verfahrensbevollmächtigter – nicht Vertreter des Betroffenen im Verfahren. Durch eine Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt.

 

Das Landgericht geht zu Unrecht davon aus, dass die Bestellung eines Betreuers erforderlich sei, da die von der Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht unwirksam sei. Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB war, steht die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann. Diesen Anforderungen hat das Beschwerdegericht nicht genügt. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Betroffene bereits im Juli 2018 aufgrund ihrer Demenzerkrankung die Vorsorgevollmacht nicht mehr habe wirksam erteilen können. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten gestützt. Darin hat die Sachverständige jedoch die Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der Erteilung der Vorsorgevollmacht nicht positiv feststellen können. In ihrem schriftlichen Gutachten führt sie hierzu lediglich aus, dass die Betroffene mit großer Wahrscheinlichkeit schon am 1. Juli 2018 nicht mehr in der Lage gewesen sei, die für und wider die Einrichtung einer Vorsorgevollmacht sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen, gegeneinander abzuwägen und unbeeinflusst von der vorliegenden Erkrankung nach den Erkenntnissen zu handeln. Zu einer genaueren Einschätzung der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen war die Sachverständige unter anderem deshalb nicht in der Lage, weil keine ärztlichen Befunde aus dem Jahr 2018 vorhanden waren. Die Karlsruher Richter befanden, dass das Beschwerdegericht keine ausreichende Sachaufklärung zur Geschäftsfähigkeit der Betroffenen betrieben haben, eine solche aber geboten war. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts enthielt weder ausreichend tragfähige Feststellungen dazu, dass etwaige Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht zu Akzeptanzproblemen im Rechtsverkehr führen, noch dazu, dass der Beteiligte zu 2 als Bevollmächtigter ungeeignet ist.

 

Wenn Sie sich für den medizinischen Ernstfall absichern und selbst entscheiden möchten, was geschieht, stehen Ihnen mit einer Patientenverfügung, Betreuungsverfügung und der Vorsorgevollmacht verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, sich abzusichern. Hierdurch geben Sie eine eigene Willensbekundung ab, wie mit Ihnen im Ernstfall verfahren werden soll. Voraussetzung ist, dass diese Dokumente rechtssicher sind und bei Bedarf vorliegen. Damit die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, sollten Sie sich unbedingt professionellen Rat holen. Mit unserer langjährigen Erfahrung als Anwälte im Erbrecht erstellen wir mit Ihnen gemeinsam je nach Bedarf ein individuelles Konzept, damit Sie für den Ernstfall abgesichert sind.