Erbrecht - BFH zur erbschaftssteuerrechtlichen Befreiung des sogenannten Familienheims
Der BFH hat mit Urteil vom 01.12.2021 (II R 18/20) über die erbschaftssteuerrechtliche Befreiung des sogenannten Familienheims entschieden. Hierbei ging es inhaltlich um die Frage, wann der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims sich auf zwingende Gründe für seinen Auszug berufen kann, um einer Nachversteuerung zu entgehen. Grundsätzlich fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO), wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, erst aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 5 ErbStG).
Sachverhalt
In dem vom BFH zu entscheidenden Fall musste die Klägerin, die das Familienheim von ihrem Vater geerbt hatte, sieben Jahre nach dem Erwerb aus diesem ausziehen. Als zwingende Gründe für den Auszug gab sie an, das Haus sei aufgrund baulicher Mängel nicht mehr bewohnbar gewesen. Außerdem habe sie sich aus gesundheitlichen Gründen (Bandscheibenvorfälle und ein nicht reparabler Hüftschaden) nicht mehr allein in dem Haus, in welchem sie das Obergeschoss bewohnte, bewegen können. Das Finanzgericht lehnte die Klage gegen den daraufhin ergangenen Festsetzungsbescheid über die Erbschaftssteuer ohne die Steuerbefreiung für das Familienheim ab. Die vom Gesetz geforderten „zwingenden Gründe für die Beendigung der Selbstnutzung“ müssten objektive Gründe sein, die Haushaltsführung in dem betroffenen Familienheim unmöglich machen, wie z. B. bei Pflegebedürftigkeit oder Tod.
BFH hebt Urteil des FG auf
Maßstab der Entscheidung des BFH war wie stets eine enge Auslegung, die für Steuerbefreiungsvorschriften und damit entsprechend für die Ausnahme von der Nachversteuerung verfassungsrechtlich geboten ist. Auslegungsbedürftig war insofern, ob sich in dem Merkmal aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, die Hinderungsgründe auf die Selbstnutzung des begünstigten Familienheims beziehen müssen oder ob der Erwerber generell zur Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr in der Lage sein müsse. Trotz der verfassungsrechtlich gebotenen engen Auslegung vertritt der BFH eine von dem Finanzgericht zum Familienheim abweichende Rechtsauffassung, die sich insbesondere an der in der Gesetzesbegründung niedergelegten Zielrichtung der Vorschrift orientiert. Zweck der Begünstigung sei es, das Familiengebrauchsvermögen zu erhalten und den gemeinsamen familiären Lebensraum zu schützen. Beendet ein Erwerber die Selbstnutzung, fällt dieses Schutzziel fort. Die Rückausnahme von der Nachversteuerung aus Billigkeitsgründen wegen einer Zwangslage könne sich sinnvollerweise nur auf dieses Schutzziel beziehen, also die Selbstnutzung des Familienheims mit dem familiären Lebensraum. Denn auch das verfassungsrechtliche Gebot enger Auslegung vermöge keine zweckwidrige Auslegung zu rechtfertigen, so das Gericht. Demnach hält es der BFH nicht für erforderlich, dass der Erwerber generell nicht mehr zur Führung eines eigenen Haushalts in der Lage ist. Der BFH stützt seine Ansicht auch auf den Wortlaut des gesetzlichen Nachversteuerungstatbestandes. Die Formulierung der Ausnahme an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, die dem Tatbestand der Erwerber des Familienheims nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, unmittelbar folge, könne nur die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims meinen. Eine Hinderung zu jeglicher Haushaltsführung auch an anderen Orten wäre eine ungeschriebene Voraussetzung, die zudem im Widerspruch zur Zweckrichtung der Begünstigung stehe.
Für das Vorliegen „zwingender Gründe“ ist erforderlich, dass dem Erwerber die Selbstnutzung des Familienheims aus zwingenden Gründen unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich oder unzumutbar ist. Grundsätzlich sei auch die Inanspruchnahme eines Pflegedienstes in dem begünstigt erworbenen Familienheim zumutbar. Eine Abgrenzung nimmt der BFH zur Hinderung aus persönlichen oder wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen vor. Solange die Beendigung Gegenstand der freien Entscheidung des Erwerbers sei, könne sie, auch wenn sie nachvollziehbar und verständlich erscheine, nicht zwingend im Sinne der gesetzlichen Vorschrift sein. Unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten fallen im Übrigen auch der bauliche Zustand des Gebäudes, da dieser veränderten Lebensumständen angepasst werden könne und daher allein kein zwingender Grund für einen Auszug sei. Der BFH betont, dass es auf eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen des Einzelfalls ankommt. Der Erwerber trage die Feststellungslast für die Tatsachen, auf die objektive Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit stützte. Auch ist eine spätere Veräußerung oder ein Abriss unschädlich, so wie ihn die Klägerin nach ihrem Auszug aus dem Familienheim veranlasst hat. Dies wenn der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer weiteren Selbstnutzung gehindert ist. Wenn schon die Beendigung der Selbstnutzung erbschaftsteuerrechtlich unschädlich sei, müsse dies ebenso für eine spätere Veräußerung oder einen späteren Abriss gelten.
Die Entscheidung zeigt, dass der BFH einen sehr strengen Maßstab bei der Darlegung der objektiven Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit im Einzelfall anwendet. Im Rahmen der Nachfolgeregelung des Ehegatten ist es erbschafts- und schenkungssteuerrechtlich in der Regel empfehlenswert, das Familienheim unter Lebenden auf den Ehegatten zu übertragen, da es für diesen Fall der Schenkung steuerlichen Begünstigung keine Pflicht zur zehnjährigen Selbstnutzung nach Übertragung gibt (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG).
Gerne beraten wir Sie hierzu in unserer auf das Erbrecht spezialisierten Kanzlei.
Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht