Erbrecht - Beweiswert von Aussagen medizinischer Laien zur Geschäftsunfähigkeit
Den Aussagen von Personen, die wie hier der Notar, der einen Erbverzichtsvertrag beurkundet hat, zur Zeit der Vornahme des in Rede stehenden Rechtsgeschäfts mit der betroffenen Person in bloßem sozialem Kontakt standen, ist mangels fachlicher Qualifikation zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des §§ 104 Nr. 2 BGB grundsätzlich kein besonderer Beweiswert zuzumessen. (OLG Hamm, Urteil vom 13.07.2021, AZ.: 10 U 5/20).
Hintergrund:
In dem vom OLG Hamm zu entscheidenden Fall ist der Kläger das Kind aus der ersten Ehe des im Jahre 2017 verstorbenen Erblassers, der Beklagte ist dessen Kind aus der zweiten Ehe. Der Beklagte wurde vom Erblasser durch Testament aus dem Jahre 1996 zum Alleinerben eingesetzt. Deshalb macht der Kläger gegen ihn seinen Pflichtteil geltend. Allerdings hatten der Erblasser und der Kläger im März 1996 einen notariellen Vertrag geschlossen, in welchem der Kläger auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet hat. In den Jahren 2003 und 2004 untersuchte ein Neurologe und Psychiater den Erblasser wegen zunehmender Verwirrtheitszustände und stellte Defizite fest. Im Januar 2009 diagnostizierte eine Neurologin bei dem Erblasser eine mäßig ausgeprägte Demenz. In ihrem nervenärztlichen Gutachten vom Juli 2009 diagnostizierte sie eine leichte bis mittelgradige Demenz und regte die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge an. Am 14.08.2009 schlossen der Kläger und der Erblasser einen notariellen Vertrag, in dem sie den Erbverzichtsvertrag vom März 1996 aufhoben. In der Folgezeit wurde der Erblasser noch mehrfach fachärztlich untersucht, wobei mehrere Psychiater dem Erblasser Geschäftsunfähigkeit bescheinigten. Nach dem Tod des Vaters klagte der Kläger unter Berufung auf den Aufhebungsvertrag vom 14.08.2009 seinen Pflichtteil ein. Der Beklagte verlangte Klageabweisung und macht geltend, die Aufhebung des Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrages sei unwirksam, da der Erblasser im August 2009 nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dem Kläger stehe aufgrund des Erbverzichts vom März 1996 kein Pflichtteil zu. Die am 14.08.2009 erklärte Aufhebung des Vertrages sei unwirksam, da der Erblasser nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei. Mit seiner Berufung gegen diese Entscheidung macht der Kläger insbesondere geltend, der beurkundende Notar habe sich am 14.8.2009 von der bestehenden Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt. Hätte er Zweifel gehabt, hätte er eine Beurkundung nicht vornehmen dürfen. Darüber hinaus beanstandet der Kläger die verschiedenen medizinischen Sachverständigengutachten als fehlerhaft.
OLG Hamm: Berufung unbegründet
Das OLG Hamm teilte zwar mit, dass der Kläger als Sohn des Erblassers grundsätzlich pflichtteilsberechtigt sei, da er durch das Testament des Erblassers zugunsten des Beklagten von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde. Jedoch hat er auf sein Erb- und Pflichtteilsrecht in dem notariellen Vertrag vom 29.03.1996 mit dem Erblasser rechtswirksam verzichtet.
Dieser Verzichtsvertrag ist in der Folgezeit auch nicht hinfällig geworden, da die am 14.08.2009 vom Erblasser und dem Kläger notariell erklärte Aufhebung des Erbverzichtsvertrages unwirksam ist. Zu diesem Zeitpunkt war der damals bereits 86-jährige Erblasser nicht mehr geschäftsfähig mit der Folge, dass seine Willenserklärung gemäß § 105 Abs. 1 BGB nichtig ist. Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Geschäftsunfähigkeit ist derjenige, der sich darauf beruft, hier also der Beklagte. Er hat jedoch den ihm obliegenden Beweis durch die vorliegenden, medizinischen Sachverständigengutachten erbracht. Soweit der Kläger die Vernehmung des Notars beantragt hat, der am 14.08.2009 die Aufhebung des Vertrages über den Erb- und Pflichtteilsverzicht beurkundet hat, war dessen Vernehmung hier nicht geboten. Insoweit würde es bereits an einem hinreichenden Vortrag des Klägers fehlen, ob und wie der Notar sich vor oder bei der Beurkundung am 14.08.2009 von der Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt haben soll. Die vorliegende Vertragsurkunde besteht nur aus einer Seite. Der wenige Sätze umfassenden Beurkundung befindet sich kein Vermerk dazu, dass der Notar sich zuvor von der Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt, oder diese in irgendeiner Weise festgestellt hat. Darüber hinaus bringt ein Notar allenfalls eine gewisse Berufserfahrung bei der Feststellung der Geschäftsfähigkeit gemäß § 11 BeurkG mit. Als Jurist verfügt er aber nicht über das notwendige medizinische Fachwissen, um das Ausmaß einer Demenzerkrankung und damit eine noch vorhandene Geschäftsfähigkeit einschätzen zu können. Das hat auch der hierzu befragte Sachverständige bestätigt. Deshalb ist den Aussagen von Personen, die zur Zeit der Vornahme des in Rede stehenden Rechtsgeschäfts mit den betroffenen Personen in sozialen Kontakt standen, mangels fachlicher Qualifikation zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des §§ 104 Nr. 2 BGB grundsätzlich kein besonderer Beweiswert zuzumessen.
Die Entscheidung des OLG Hamm ist insoweit erstaunlich, dass bisher regelmäßig die Geschäftsfähigkeit im Sinne des Beurkundungsgesetzes stets von dem jeweiligen Notar bescheinigt wurde. Künftig wird es daher nötig sein, bei der Beurkundung zumindest zeitnah ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
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