Erbrecht: Neue Entscheidung des BGH zur Auskunftspflicht der Erben- Was Pflichtteilsberechtigte und Erben über die Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten wissen müssen
Mit Urteil vom 20.05.2020 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass der Pflichtteilsberechtigte die Ergänzung bzw. Berichtigung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auch dann verlangen kann, wenn dieses wegen unterbliebener Mitwirkung des Erben teilweise unvollständig ist (BGH, Urteil vom 20.05.2020 – IV ZR 193/19).
Hintergrund
In dem vom BGH entschiedenen Fall haben zwei Schwestern im Wege der Stufenklage ihre Tante auf Zahlung des Pflichtteils aus dem Erbe ihrer verstorbenen Großmutter in Anspruch genommen. Die Tante war als Tochter die Alleinerbin der Erblasserin. Die andere Tochter und Mutter der Klägerinnen war bereits vorverstorben. Das Amtsgericht Bonn entschied im Jahr 2017, dass die Tante ihren Nichten Auskunft gemäß § 2314 BGB über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines notariell aufgenommenen und vom Notar unterzeichneten ausführlichen Verzeichnisses erteilen muss. Der Anwalt der Schwestern bat den von der Tante beauftragten Notar unter anderem, zur Klärung bestehender Bankguthaben auch eine Anfrage bei Banken in Österreich vorzunehmen. In der Folge legte die Tante ein notarielles Nachlassverzeichnis vor, in welchem der Notar darauf hinwies, dass er einen Kontendatenabruf für Konten in Österreich nicht habe vornehmen könne, da die Tante ihm die Zustimmung zu einer derartigen Ermittlung nicht erteilt habe. Die Tante meinte, sie habe den titulierten Auskunftsanspruch durch die Vorlage des notariellen Verzeichnisses erfüllt. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die beiden Enkelinnen der Erblasserin gegen ihre Tante weiterhin einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB haben. Dies sehen auch die Karlsruher Richter so.
Gesetzliche Regelung
Entscheidend ist, dass der Anspruch auf Auskunftserteilung noch nicht durch Vorlage des unvollständigen Nachlassverzeichnisses erfüllt wurde. Liegt ein notarielles Nachlassverzeichnis vor, kann der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich nicht dessen Berichtigung oder Ergänzung verlangen. Vielmehr ist er in einem solchen Fall auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung zu verweisen, sofern die Voraussetzungen des § 260 Abs.2 BGB vorliegen.
Ausnahmen
Von diesem Grundsatz sind laut dem BGH aber verschiedene Ausnahmen anerkannt. So kann ein Anspruch auf Ergänzung bzw. Berichtigung eines Nachlassverzeichnisses bestehen, wenn in diesem eine unbestimmte Mehrheit von Nachlassgegenständen nicht aufgeführt ist, wenn Angaben über den fiktiven Nachlass oder Schenkungen fehlen, wenn die Auskunft zwar dem Wissensstand des Verpflichteten entspricht, dieser sich jedoch fremdes Wissen trotz Zumutbarkeit nicht verschafft hat oder wenn sich ein Notar auf die Wiedergabe der Bekundungen des Erben ohne eigene Ermittlungstätigkeit beschränkt. Der Notar habe hier in Bezug auf die Konten in Österreich keine eigenständigen Ermittlungen durchführen können.
Gerade in Bezug auf die Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten gilt es sowohl für Pflichtteilsberechtigte als auch für die Erben einiges zu beachten.
Die Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten
Ein Pflichtteilsberechtigter (§§ 2303, 2309 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), der nicht Erbe ist, weil
- er entweder vom Erblasser im Testament nicht als Erbe eingesetzt bzw. vom Erbe ausgeschlossen worden ist
- oder er zwar als (Mit- oder Nach-)Erbe eingesetzt war, aber den Erbteil nach § 2306 BGB gemäß §§ 1945, 1953 BGB ausgeschlagen hat,
- wegen seiner Beschränkung durch eine Einsetzung als Nacherben, durch die Einsetzung eines anderen als Nacherben, durch die Ernennung eines Testamentsvollstreckers, durch eine Teilungsanordnung oder
- aufgrund seiner Beschwerung mit einem Vermächtnis oder einer Auflage (vgl. hierzu auch Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 05.07.2006 – IV ZB 39/05 – und Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 387/15 –)
kann nach § 2314 BGB von dem Erben, auf Kosten des Nachlasses, verlangen,
Auskunft über den Bestand des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers durch Vorlage eines geordneten Bestandsverzeichnisses, welches zu enthalten hat,
- alle beim Erbfall vorhandenen Aktiva, also alle beweglichen und unbeweglichen Vermögensgegenstände sowie Forderungen, insbesondere auch Konten- und Wertpapierguthaben,
- alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden),
- alle ausgleichspflichtigen Zuwendungen des Erblassers im Sinne der §§ 2025 ff BGB,
- alle Schenkungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall gemacht hat sowie wann diese jeweils gemacht worden sind, weil diese Schenkungen gemäß § 2325 BGB einen Pflichtteilsergänzungsanspruch begründen,
- alle Lebensversicherungen und sonstigen Verträge zu Gunsten Dritter und
- alle Geschäftsbeteiligungen des Erblassers, gleichviel ob die Gesellschafterstellung vererblich war oder nicht,
- dass er oder sein Rechtsbeistand bei der Aufnahme des nach § 260 BGB vorzulegenden Bestandsverzeichnisses zugezogen werden,
- der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird
sowie auch,
dass das Bestandsverzeichnis durch die zuständige Behörde oder durch einen zuständigen Beamten oder Notar aufgenommen wird.
Der Auskunftsanspruch soll es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen.
Da einem notariell aufgenommenen Verzeichnis eine größere Richtigkeitsgarantie zukommt, kann dem Anspruch (auch bzw. zusätzlich) ein solches vorzulegen, nur in besonderen Einzelfällen, wie jedem anderen Anspruch auch, der Einwand des Rechtsmissbrauchs oder der Schikane entgegenstehen, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist.
Grundsätzlich verweigern kann der Erbe die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses entsprechend § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB dann,
- wenn ein Aktivnachlass, aus dem die Kosten für den Notar entnommen werden können, nicht vorhanden ist,
- wobei den Nachweis der Dürftigkeit dabei der Erbe zu führen hat.
Dem Pflichtteilsberechtigten verbleibt in diesem Fall die Möglichkeit,
- eine private Auskunft nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB und
- eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Auskunft
vom Erben zu verlangen.
Dem Erben ist es verwehrt sich im Hinblick auf die Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses auf die Dürftigkeitseinrede zu berufen, wenn der Pflichtteilsberechtigte
- bereit ist, die Kosten für das Verzeichnis zu tragen und
- bereit ist diese im Voraus direkt an den Notar zu entrichten (Oberlandesgericht (OLG) München mit Urteil vom 01.06.2017 – 23 U 3956/16 –).
Liegt ein notarielles Nachlassverzeichnis vor, so kann der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich nicht dessen Berichtigung oder Ergänzung verlangen. Vielmehr ist er in diesem Fall, soweit die Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB vorliegen, auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung verwiesen.
Allerdings kann ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Ergänzung bzw. Berichtigung des Nachlassverzeichnisses bestehen,
- wenn in diesem eine unbestimmte Mehrheit von Nachlassgegenständen – etwa aufgrund eines Rechtsirrtums des Pflichtigen – nicht aufgeführt ist,
- wenn Angaben über den fiktiven Nachlass oder Schenkungen fehlen,
- wenn die Auskunft zwar dem Wissensstand des Verpflichteten entspricht, dieser sich jedoch fremdes Wissen trotz Zumutbarkeit nicht verschafft hat,
- wenn sich ein Notar auf die Wiedergabe der Bekundungen des Erben ohne eigene Ermittlungstätigkeit beschränkt oder
- wenn das notarielle Nachlassverzeichnis wegen unterbliebener Mitwirkung des Erben teilweise unvollständig ist, beispielsweise wegen verweigerter Zustimmung des Erben zu einem Kontendatenabruf des Notars bei einem ausländischen Kreditinstitut (BGH, Urteil vom 20.05.2020 – IV ZR 193/19 –).
Gerne beraten wir Sie als Erbe welche Punkte sie bei der Auskunftserteilung unbedingt beachten müssen und unterstützen Sie bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses sowie der ggf. vorzunehmenden Abwehr unberechtigter Forderungen. Sind Sie pflichtteilsberechtigt helfen wir ihnen bei der Geltendmachung und Durchsetzung Ihrer Auskunftsansprüche bis hin zur Durchsetzung Ihrer Pflichtteilsansprüche.
Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht