BGH – Konkludente Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO bei Nachlass mit grenzüberschreitendem Bezug
Die Frage, ob der Erblasser eine konkludente Rechtswahl im Sinne von Art. 22 Abs. 2 EuErbVO getroffen hat, ist unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetisch gewählte Recht zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 24.02.2021 – IV ZB 33/20).
Hintergrund
In dem vom BGH zu entscheidenden Fall streiten die Beteiligten darüber, ob sie Miterben der 2017 verstorbenen deutschen Staatsangehörigen geworden sind. Die Erblasserin sowie ihr vorverstorbener Ehemann, österreichischer Staatsangehöriger, hatten ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Bad Reichenhall. Im März 1996 errichteten sie in zwei getrennten, aber im Wesentlichen wortgleichen eigenhändig ge- und unterschriebenen Urkunden zwei mit „Gemeinschaftliches Testament“ überschrieben Schriftstücke. Sie setzten sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Tod des Zweiten sollten gemeinsame Schlusserben die Beteiligten zu gleichen Teilen sein. Eine der Beteiligten, die Beteiligte zu 4, war die 2017 nachverstorbene Schwester der Erblasserin, die Beteiligten zu 3, 5 und 6 sind die Kinder der Beteiligten zu 4. Mit Testament vom 7. November 2013 verfügte die Erblasserin, dass sie ihr „Haus und Inventar“ sowie ihr „Barvermögen“ den Beteiligten zu 1 und 2 vererbe. Bereits mit einem auf den 1. November 2011 datierten Testament hatte sie angeordnet, dass die Beteiligte zu 1 nach ihrem Ableben € 30.000 und diverse Möbelstücke erhalten solle. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben nach dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines Erbscheins des Inhalts beantragt, dass sie Erben zu je 1/2 geworden sind. Das Nachlassgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 19. April 2018 zurückgewiesen, da sich die Erbfolge nach dem am 25. März 1996 errichteten gemeinschaftlichen Testament richte. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 und 2, mit der sie ihren Erbscheinsantrag weiterverfolgen.
Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO
Gemäß Art. 22 der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) kann der Erblasser/Testator durch letztwillige Verfügung (z.B. Testament) für die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
BGH: Erbfolge richtet sich nach gemeinschaftlichem Testament
Der BGH entschied, dass sich die Erbfolge nach der Erblasserin nach dem wirksamen gemeinschaftlichen Testament vom März 1996 richtet, dessen Bindungswirkung den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegenstehe. Die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments, das unionsrechtlich einen Erbvertrag darstelle, richte sich nach dem durch Art. 83 Abs. 3, 1. Alt. i.V.m. Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden: EuErbVO) berufenen deutschen Recht als Recht des Staates, in dem die Erblasserin sowie ihr Ehemann ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätten. Das gemeinschaftliche Testament ist gemäß Art. 25 Abs. 2 i.V.m. Art. 83 Abs. 3 Alt. 1 EuErbVO formell und materiell wirksam. Auch insoweit sei jeweils auf deutsches Recht abzustellen. Schließlich entfalte das gemeinschaftliche Testament vom 25. März 1996 Bindungswirkung, die den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegenstehe.
Konkludente Rechtswahl
Auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments findet deutsches Recht Anwendung. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden konkludenten Rechtswahl. Nach Art. 25 Abs. 3 EuErbVO können die Parteien eines Erbvertrages im unionsrechtlichen Sinne auch für die Bindungswirkung ihres Erbvertrages einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung das Recht wählen, das die Person oder eine der Personen, deren Nachlass betroffen sei, gemäß Art. 22 EuErbVO unter den darin genannten Bedingungen hätte wählen können. Das Testament enthält zwar keine ausdrückliche Wahl deutschen Rechts. Art. 83 Abs. 2 EuErbVO erfasse jedoch auch eine konkludente Wahl deutschen Rechts. Das Vorliegen einer konkludenten Rechtswahl nach der EuErbVO sei unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetische Rechtswahlstatut zu entscheiden. Auf dieser Grundlage hätten die Erblasserin und ihr verstorbener Ehemann für die Bindungswirkung übereinstimmend konkludent deutsches Recht gewählt, was sich insbesondere aus der verwendeten Terminologie sowie dem Zusammenspiel der Ziffern I bis III des Testaments ergebe.
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Rechtsanwalt Manuel Ast
Fachanwalt für Erbrecht
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